Sepia
in einem Augenblick vorher geschieht.
Unter einer Parkbank schläft man am besten, auch Brücken eignen sich gut zum Übernachten. Unterführungen, Pfeilernischen, Bögen. Vor der Stadt Cottbus hat man die Wahl.
Ich habe einen untertunnelten Waldweg gefunden, besser geht es nicht, in der Nähe ein Graben, das Wasser flott fließend und klar, am Ufer genießbare Kräuter, Sumpfdotter, wo die Knospen kapernähnlich schmecken, eigentlich sogar besser. Auf einem Buchweizenfeld hatte ich unterwegs von der Vorjahresernte gestoppelt. Die Körner trage ich in der Jackentasche. Man braucht für Buchweizen gute Backenzähne und reichlich Flüssigkeit. Die Blaubeeren sind fast reif, Blaubeeren gehören zum perfekten Rezept. Buchweizenplinsen mit Blaubeeren. Das wächst mir ins Maul.
Die Nacht unter der Brücke war angenehm, der Sternenhimmel im Tunnelrund wie gestochen. Geträumt habe ich von einer Ehrenurkunde für einen schwarz glänzenden italienischen Hahn. Die Urkunde gehörte meinem Großvater Heinrich. Der Verein der Hühnerologen zeigte sich enttäuscht, der Festredner verärgert, weil der Ausgezeichnete im Festsaal nicht anwesend war. Und ich blieb wieder einmal stumm. Kein Wort über die Büchse in meinem Rucksack.
Am Nachmittag grünes Licht auf dem Cottbuser Bahnhof.
Der Zug stand fahrbereit auf dem Gleis, Görlitz, der Schaffner hatte bereits die Kelle gehoben, die Trillerpfeife klemmtezwischen den Zähnen. Es war sein Ermessen, er wartete, ich rannte, riss die Tür auf, in letzter Minute zur Weiterfahrt, zur Reise ins Leben aufgenommen, der gute Schaffner von Cottbus wartete immer noch, aber es kam keiner mehr. So ließ er die Kelle sinken. Man hörte das Abfahrtssignal.
Ich saß allein im Abteil, vielleicht allein im ganzen Zug. Wer will denn nach Görlitz?, dachte ich mir.
In der Stadt auf deutscher Seite, Suche nach einem Versteck, erst eine Bank. Dann Umzug in eine Fabrikruine, dort lasse ich die schweren Sachen, Schlafsack, Rucksack samt Büchse mit der Heinrich-Asche.
In der Mitropa auf dem Bahnhof findet man Leute, mit denen man reden kann, es gibt Bockwurst, Kartoffelsalat, Bier. Man versteht zu leben.
Habe jetzt auf Empfehlung ein festes Quartier.
Eli hat eine Herberge gefunden, nicht weit vom Bahnhof entfernt, am Brautwiesenplatz. Es ist eine Pension und damit fast ein Hotel, nur etwas kleiner und hoffentlich auch billiger.
Am Tisch in der Gaststube füllt sie einen Meldezettel aus. Der Stift hängt an einer Schnur, weil er Eigentum der Pension ist und nicht verschwinden soll. Pension, das wäre wieder ein Wort für Antons Fremdwörterbuch, er würde staunen, was man darunter Verschiedenes verstehen kann. Geld, sogenanntes Ruhegeld, und eine Unterkunft.
Eli hat noch nie für Geld in einem Hotel übernachtet, auch Anton war noch nie in einem Hotel, Anton schläft unter einem Felsenvorsprung, wenn er in die Sächsische Schweiz fährt. Zweimal hatte Eli auf Betriebskosten in Betriebsferienhäusern gewohnt. Das war als Gärtnerlehrling in Dittersbach und später, während des Praktikums, die
Sonne
in Gönnernhausen, das war früher einmal ein Hotel.
Die Schnur für den Stift ist sehr lang, sie reicht vom Tresen bis zum Frühstückstisch. Ihr eigener Bleistift liegt wahrscheinlich in der Bahnhofskneipe, dort hat sie zuletzt ein paar Sachen aufgeschrieben, Anrufungen, Liebesbriefe, Notizen zum Merken. Paradies mit Trillerpfeife. Knietief im Paradies.
Eli trägt auf dem Meldezettel die Personalien ein und die Aufenthaltsdauer. Sie wird beschirmt von einem stolzen Gummibaum, der schon bis unter die Decke gewachsen ist, die ledernen Blätter rahmen das offene Fenster, bedecken die Wände. Ein Lüftchen weht. Eli will nichts überstürzen, man muss die Gegend genau erkunden, den Grenzfluss, die Möglichkeiten. Sie hat sich bei den Einheimischen am Bahnhofskiosk erkundigt, sie hat es selbst gesehen. Die Brücke in der Altstadt ist in den letzten Kriegstagen gesprengt worden, da ragen nur noch die Reste der Pfeiler aus dem Wasser, und das soll jetzt so bleiben, das ist wie geschaffen für die politischen Gegebenheiten, für die Sicherung der Grenze und Länderordnung, das sieht nicht gut aus für Eli. Eine provisorische Brücke am Stadtrand, zugelassen allein für östlichen Wirtschaftsverkehr und Militär, wird von Posten hüben und drüben streng kontrolliert. So viel hat Eli für sich schon erkannt, trockenen Fußes wird sie den Fluss nicht bezwingen.
Eli hat darüber vor dem Reisestart
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