Sepia
Sprung für einen Lkw bis ins Dorf an der Katzbach.
Die Grillen zirpen. Leere Flaschen stehen auf der bretterverschalten Theke. Eli nippt so langsam wie möglich am Apfelsaft. Endlich zeigt der Fernfahrer, dass er ein Ohr hat für Eli, für die Kalamität mit einer wunderlichen Großmutter und überhaupt.
Manche Leute kommen einfach nicht aus der Knete, sagt er und schüttelt den Kopf.
Da hast du recht, Uwe, sagt die Frau.
Eli trinkt.
Ab sieben gibt’s Frühstück, sagt die Frau.
Eli merkt, dass der Fernfahrer die Frau beim Vornamen nennt. Irmgard, von Anfang an Irmgard. Und der Fernfahrer heißt Uwe.
Da läuft doch was. Ganz gegen Elis Interessen, jedenfalls neben ihren Sorgen. Andere Heimlichkeiten.
Guten Abend, sagt Eli.
So früh am Tage, sagt Uwe.
Eli zuckt schlau die Achseln. Die Welt ist voller Irrtümer und Falschdeutung.
Irmgard zieht einen verschnürten Pappkarton unterm Tresen hervor.
Zusammen mit dem Rucksack, darin die Büchse, Heinrichs Asche, so bezieht Eli das Zimmer in dieser Pension. Sie rollt das fremde Bettzeug beiseite, sie kriecht in ihren Schlafsack und denkt an die Zukunft, wenigstens an die nächsten Schritte.
Wie wenn ich heute Nacht auf den Lkw aus Wittenberge klettern würde, hinschleichen, auf die Ladefläche steigen und zwischen den Nähmaschinen verstecken. Morgen früh, wennder Motor läuft, würde ich entweder mäuschenstill sein oder flüsternd fragen: Hätten Sie, lieber gütiger Herr aus Wittenberge, etwas dagegen, wenn ich mit Ihnen fahren würde als blinde Passagierin über die Grenze, ich, Eli, möchte nämlich genau dorthin, wo Sie hinfahren mit den Veritas-Nähmaschinen. Richtung Goldberg. Wir beide haben ein Ziel, wenigstens ungefähr bis zur Katzbach, wenn es so weit ist, werfe ich den Rucksack samt Büchse von der Ladefläche und springe hinterher. Sie müssen sich um gar nichts weiter kümmern, nur etwas langsamer fahren, wenn es so weit ist, damit ich abspringen kann, und bei der Grenzkontrolle müssen Sie ein frommes Gesicht aufsetzen, eine gute Miene machen, oder wir zahlen denen ein paar Złoty. Ich vertraue Ihnen jetzt einfach mal. Ich traue Ihnen. Sie kennen sich gewiss in diesen Dingen aus. Sie sind doch ein Mann mit Erfahrungen, Herr Uwe.
Über dieser Idee, dieser berauschenden Apfelsaftidee, schläft Eli ein, versinkt in lächerlich weichen Stacheldraht, wie von Spinnen gemacht. Als gäbe es hier im Osten keine triftigen Gründe für Schieber, keine familiären Anlässe, diesen Fluss heimlich zu überqueren. Watteweiche doppelt und dreifach gesponnene Stacheldrahtnetze. Eine ekelhafte, aber keine schmerzhafte oder gar tödliche Grenze. Und dann stürzt eine Büchse aus ziemlicher Höhe, fällt vom Himmel, schlägt aufs Wasser und versinkt. Wie von alleine. Eine Tat ohne Täter. Ein schwarzes Loch.
Eli hört ihre Stimme im Traum. Einen Ruf. Geständnisse. Ich war es. Ich bin es gewesen. Ich habe die Büchse geschmissen und das Netz zerrissen. Den Ball zerstochen. Ich habe die Geschenkschachtel noch vor der Bescherung aufgemacht. Im selben Augenblick, der Sekunde des absoluten Wortes, erkennt Eli erleichtert ihren grünen chinesischen Schlafsack, die Pension am Brautwiesenplatz zu Görlitz, zum ersten Mal im Leben in Görlitz und zum ersten Mal in einer Pension, so gut wie ineinem Hotel. Sie befreit ihren rücklings verschränkten Arm. Die Büchse steht auf dem Stuhl, der Rucksack daneben.
Ich bin es. Eli blinzelt der komisch blinzelnden Büchse zu. Sie sitzt eine Weile wie Buddha im Nest, dann legt sie sich wieder hin. Schlaf ist kostbar. Zwölf Mark kostet ein Pensionsbett pro Nacht.
Am Morgen schleicht Eli noch vor der Frühstückszeit durch den Pensionsflur, schlendert mit kleinem Gepäck, die Büchse im Beutel, durch die kühlen, stillen Straßen zum Parkplatz.
Wie, wenn sie den gutmütigen und spendablen Wittenberger bäte, die Büchse an sich zu nehmen, um sie bei Gelegenheit drüben jenseits der Grenze abzuwerfen. Sie wird ihm erklären, wo es ihrer Meinung nach am günstigsten oder am schicklichsten wäre.
Eli würde diesen Uwe einweihen in ihre heikle Mission. Sie würde ihm die Büchse übergeben, zusammen mit guten Wünschen und Dank im Voraus. Zu treuen Händen Heinrichs Asche. Am besten, er würde die Büchse bis in die Gegend von Pilgramsdorf chauffieren, zu einem Hügel mit Grabsteinen, Holzkreuzen, Engeln.
Das sind ja keine Entfernungen, wenn eins motorisiert ist. Gern würde sie dem Wittenberger eine Skizze mitgeben, aber
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