Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
Vom Netzwerk:
Aktivitäten auf weißem Papier? Jeder weiß, dass ich befreit bin. Ich fühle mich nicht berufen. Ich habe noch nie im Leben ein Gedicht gemacht. Der Dekan fingert in seiner mausgrauen Anzugtasche.
    Endlich bringt er eine krumme, aber blendend weiße Zigarette hervor. Er schnipst das Feuerzeug. Eli schnipst mit dem Finger.
    Ludwig spitzt die Lippen. Ein ermunterndes Küsschen in Richtung Eli. Wenn Gott will, schießen sogar die Besen.
    Siegfried Müller zieht die Taschenuhr.
    Felix Wagner blättert diskret im Fahrplan. Er knöpft die Jacke zu.
    Ehe Rafaela noch ihre Widerworte laut machen kann, klopfteine Faust von draußen an die Salontür. Eine polternde Männerstimme. Der Chauffeur des Dekans wartet keine Minute länger. Die Zeit ist um, das Studienjahr ist zu Ende.
    Jetzt aber dalli, Kollege Professor, der Motor läuft.
    Man weiß, dass der Dekan noch wichtige Aufgaben außerhalb der Hochschule zu bewältigen hat. Es heißt, dass er an einem Roman schreibt. Deswegen muss er nach Freiberg, in die Bergakademie-Stadt. Es ist vielleicht ein Roman über die Geschichte des Bergbaus oder über die Bergakademie, wo sein Vater als Geologe und Autor eines Fachbuchs über das Uralgebirge einen Namen hatte. Manche an der Schule munkeln von einer Herzensangelegenheit. Anerkennend oder besorgt. In seinem Alter und grade der. Manche witzeln, weil er seine Flamme angelegentlich Nichte nennt oder Großnichte. Wer es glaubt, wird selig.
    Damit er schneller vorankommt mit seinem Text, wird er per Tatra nach Freiberg gefahren. Der Chauffeur erzählt gern Geschichten aus Freiberg, wie entgegenkommend die Erzgebirglerinnen sind, die Nichten, und auch, wo der Kollege Professor seine Zigaretten herholt. Wie er die neuerdings in einem Silberetui neutralisiert und dazu noch tief in der Jackentasche vergräbt.
    Die Raucher schwören: Das Dekanzimmer, eigentlich das ganze Stalin-Haus, riecht unverkennbar nach Marlboro.
    Siegfried hat inzwischen herausgefunden, dass der Dekan ein echter Freiberger ist. Er hat es auf einem Abrechnungsschein im Sekretariat gelesen: Geburtsort: Freiberg. Also ein Sachse. Da kann es doch sein, dass er Verwandte dort hat, eine Nichte, zum Beispiel, die er am Wochenende besucht.
     
    Lieber Anton, ich werde nächstens einmal kurz nach Dresden kommen. Bist Du zu Hause? Hast Du die alte Lederjacke gefunden?
     
    Eli kann froh sein, dass sie einst für ihr gespartes Geld statt eines Fahrrades eine Schreibmaschine gekauft hat. Die Verkäuferin im Industrieladen Dresden hatte ihr mütterlich zugeredet. Eine Schreibmaschine sei eine Wertanlage und genauso gut wie ein Fahrrad. Es sei ein Glück, dass sie sogar noch die Wahl habe. Eine Optima Erika oder eine rote Rheinmetall, beide mit Koffer, inklusive Typenknete und Reinigungsbürsten. Fahrräder würden, wenn überhaupt, erst wieder im übernächsten Quartal geliefert werden.
    Durch diesen zeitigen Zuspruch und ihre anhaltende Sparsamkeit hatte Eli nun beides. Simson-Fahrrad und Schreibmaschine. Es war ein Glück. Das Schreiben beherrschte sie sogar blind, mit verbundenen Augen. Zehnfingersystem. Das hatte sie im Abendkurs gelernt, sie konnte ein ziemliches Tempo vorlegen. Am liebsten klapperte Eli nach Musik. Sie legte auf dem Grammophon eine Platte auf. Setzte die Nadel in die Rille, und los ging es.
Ungarische Tänze
. Die Tasten gehorchten.
     
    Der Lkw, in dem Eli von der Tankstelle Michendorf aus mitgenommen worden war, fuhr weiter nach Prag.
    Waren Sie schon mal in Prag? Noch nie. Über diese Sache hatte Eli mit dem zuverlässig geradeaus blickenden Fahrer einige Sätze gewechselt. Prag ist schön. Keine Trümmer. Prager Schinken, den kannte Eli vom Kiosk auf dem Postplatz, von den Prager Schnittchen, eine Scheibe saftig gekochten, dazu süßsaure Gurke, obendrauf Petersilie. Man konnte ins Schwärmen geraten. Schöne Filme kamen aus Prag. Puppentrickfilme. Nein, in Prag war ich leider noch nie.
    An der Ausfahrt Wilder Mann klettert Eli vom Beifahrersitz.
    Der Fahrer reicht ihr den leeren Rucksack.
    Infanteriegepäck, sagt der Fahrer, war praktisch, der Rucksack, man hatte alles am Mann.
    Ich hole meine Schreibmaschine, erklärt Eli. Morgen fahre ich wieder zurück.
    Vielleicht mit mir, sagt der Fahrer. Der Zufall kann viel. Wenn er will.
     
    Über den Heidefriedhof wandert Eli, weil er am Weg liegt und um zu sehen, ob alles noch wächst, ob die Büsche Wurzeln geschlagen haben, ob die Heidepflanzung hält, was sie damals versprochen hatte. Wacholder,

Weitere Kostenlose Bücher