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Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
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Tschechows Stücke müsse sie lesen. Eli spürt Schuberts Atem am rechten Ohr und die scharfen Stoppeln. Reste vom Glühwein. Eli schmeckt kühle Zahnpasta in ihrem sauberen Mund. Pfeffrige Pfefferminze. Tschechows
Kirschgarten
. Die
Drei Schwestern. Onkel Wanja.
Was noch. Andenken. Entweder an eine warme Hand auf kaltem Bauch oder kalte Hand auf warmem Bauch. Jedenfalls ein sehr großes Temperaturgefälle. Hochspannung.
    Eli rührt sich nicht, aber Schubert rührt sich wie verrückt.
    Die nächtliche Betriebsamkeit im Studentinnenwohnheim der Tauber-Villa bleibt unentdeckt. Das Schleichen und Knistern, das Klappern des emaillierten Katzentellers, das Knarren des alten Parketts und das Quietschen der gefederten Bettenböden aus den Heidenauer Möbelwerken, das Stöhnen, Heulen, Schimpfen und Lachen, das Schlagen der schweren Haustür, das Rauschen des Wasserhahns oder der Spülung nachtsin den Etagen vom Parterre bis unter das Dach. Die Wände sind dick genug. Die Erschöpfung ist groß. Die Lust schläft im eigenen Fleische.
     
    Aus dem dunklen Kranz der Bäume glänzt das stolze alte Gemäuer, das wohlgeformte Dach. Das Mondlicht flutet über die Schieferschindeln. Sanfte silberne Wellen. Friedenslicht. Solidarität mit den Völkern Vietnams, die erneut Krieg fürchten müssen, Solidarität mit Eli, der verlorenen Enkelin oder der verlassenen Geliebten.
    Von Ludwig kein Zeichen.
    Schubert sagt: Das musst du verstehen. Er will dich schützen. Kein Brief, das ist ein Beweis. Eli redet trotzdem weiter, untröstlich, von Ludwig und dann von Anton, dem einen Großvater, schließlich noch von dem anderen, dem Schlesier, Großvater Heinrich, der jetzt im Westen eine Existenz hat, leider keine Hühner mehr, weil die am Boden Auslauf brauchen, so hat er jetzt Bienen. Schubert hört gerne zu, am liebsten hört er zu, wenn Eli von Bienen spricht, erst von Heinrichs Bienen, dann dass sie selbst einmal Bienen halten will, nur nicht so viel Untröstlichkeit.
    Das nächste Mal erzählt Schubert. Er fängt an zu flüstern, während Eli still in seinen Armen liegt. Süßes Rauschen. Irgendwann im nächtlichen Flüsterregen, vielleicht, als er von seinen schon rübergebrachten, also geschmuggelten, also vorläufig oder für immer verlorenen Büchern spricht, merkt er, dass er zu viel sagt. Er redet von letzten Geheimnissen. Von Sachen, die niemand weiß. Und niemand wissen soll. Eigentlich darf keiner erfahren, wohin ihn das Leben zieht. Zu einem österreichischen Pass und zur Ausreise. Hochzeit mit Therese, Ausreise, Scheidung, Hochzeit mit Cordula, mit der er zusammen ein Kind hat.
    Und wo?
    In Hildesheim.
    Schubert stolpert nicht mehr über den Katzennapf. Er versteckt sich nicht mehr unter der Bettdecke. Sie reden über Cordula und Hildesheim und über seine väterlichen Gefühle.
    Aber was willst du denn in Hildesheim?
    Den Dom besichtigen. Westliche Wochenzeitungen lesen. Das neue Buch von Adorno kaufen.
    Eli redet über Ludwig. Schubert hat ein Rundtischgespräch im Radio, bei dem Ludwig zu hören war, mit dem Smaragdgerät aufgenommen.
    Schubert macht sich die Mühe, das Tonbandgerät hat einen Koffergriff, aber es ist zentnerschwer und so groß wie ein Werkzeugkasten, er schleppt es mit, er schließt es an, Steckdosen gibt es in Elis Tauber-Schlafzimmer genug.
    Eli friert, die bläulichen Lippen zittern.
    Ludwig zankt sich mit der bürgerlichen Kultur. Er will nirgendwo Kompromisse machen. Charakter und Form, so beschwört er seine Zuhörer, beides muss ineinanderfinden, so dass der Charakter in der Form aufgelöst scheint wie der Kopf im Ornament eines Barockgitters. Schubert hat auch das Murren, das Lachen und die Wut der Tischrunde aufgenommen, lauter Weltrevolutionäre. Der Kerl gehört in die Wüste. Oder zurück in den Käfig. Ein Gaukler, so lustig wie tot, der hat an diesem Ort in dieser unserer Zeit nichts verloren.
    Nirgendwo.
    Eli hatte nicht gewollt, dass sich Schubert mit dem Smaragd so viel Mühe macht. Ein Kopf in einem Barockgitter.
     
    Manchmal tut Eli so, als würde sie längst schlafen. Früh zu Bette. Die Tür ist offen. Schubert zieht seinen Cordanzug aus, das schwarze Hemd. Das Trikotzeug. Die Socken. Er legt die Uhr hin. Er beißt Eli ins Ohr.
    Barbar rossa, murmelt Eli.
    Die Hingabe ist kurz und gut. Könnte länger sein, aber sie brauchen die Zeit, um sämtliche Geheimnisse loszuwerden. Reden und reden.
    Eli sagt: Das heißt Sex.
    Ein Wort, das in ganzer Länge in wissenschaftlichen Büchern

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