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Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
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Rafaela. Ich bitte Sie, setzen Sie sich auf den Hosenboden, beginnen Sie mit dem Anfang, wie es Kindern und dichtenden Damen, sogar dem in einer Schreibkrise befangenen Theodor Fontanegeraten wurde. To begin with the beginning. Ich gestehe Ihnen zu, es ist nicht leicht. Zweifel sind erlaubt, aber nur in Maßen.
    Eli sagt nun noch einen etwas längeren Satz.
    Ich berufe mich auf die Sonderverfügung in den Immatrikulationspapieren, meine Befreiung von ausgedachten Sachen, sollte die Verfügung nicht mehr gelten, muss ich um meine Entlassung bitten. Darauf schweigt sie erschrocken.
    Der Dekan blickt nun einfach zum Fenster, wo man den Balkon des Seminarsalons und hohe Bäume im Herbstzauber sieht.
    Ich betrachte das Gespräch als beendet.
    Eli geht.
    Der Dekan schaut in die Bäume, er hätte entschiedener handeln müssen. Mit der Faust auf den Tisch hauen. Hier geblieben. Und fleißig weiter. Die Faust ist der Jugend noch am bekömmlichsten, Strenge. Die Wahrheit schmerzt. Die halbe Wahrheit macht müde. Er ist bei der halben Sache geblieben. Er hat mit dem guten Kind eine Debatte geführt.
    Eli weiß genau, dass sie den Dekan enttäuscht hat.
    Wenn das Anton wüsste. Der würde sagen: Mutig und dämlich. Nun musst du sehen, wie du da rauskommst aus dem Schlamassel. Ludwig würde gar nichts sagen. Eli stellt sich vor, wie sehr der schweigen würde.
     
    Der Dekan hatte den Fall Rafaela Reich, die Weigerung, ein sogenanntes Treatment, also eine schöpferische Sache, eine Filmerzählung zu schreiben, an den Assistenten Schubert weitergegeben.
     
    Alles hat sich geändert. Vor allem Schubert. Es ist, weil Ludwig fehlt. Seine Lücke schafft entwirrende Distanz. Und damit Nähe. Wahrscheinlich waltet eine Art Fairness. Die Liebe in der Ferne schafft solidarische Verbundenheit in der Nähe.
    Schubert ist ein wahrer Freund geworden. Eli ist frei und furchtlos in seiner Nähe. Er kommt ihr entgegen. Man setzt sich nebeneinander. Oder gar auf den Schoß. Eli auf Schuberts Knie.
    So geschehen auf der Bank neben dem Glühweinausschank in der Klement-Gottwald-Straße. Schauspielstudenten sind dabei gewesen und auch einige von der Kamera. Heißes ungarisches Stierblut mit Zucker. Wenig Sitzgelegenheiten und viel angeheiterte Leute. Eine einzige Bank. Schubert summt O hehrstes Wunder, herrliche Maid, ein Motiv aus der
Walküre
, in Elis Ohr.
    Du hast ja wieder einen Bart, sagt Eli.
    Es sind fünf Tage alte Stoppeln, Umrisse einer Bürste, breiter als die vorige, jedoch wie die von einst: fuchsteufelsrot. Ein Gewinn.
    Du bist ein starker Typ, sagt Eli.
    Dann taumelt Eli mit Erwin Schubert, der rechten Dekanhand, dem wissenschaftlich-künstlerischen Assistenten, Stammbesucher in Bibliotheken, Opernhäusern, Theatern. Hegelianer, Blochschüler, vielleicht Marxist, wenigstens Kenner der
Ökonomisch-philosophischen Manuskripte
, Shakespeare-Verehrer, Wagnerianer, durch die nächtlichen Straßen, die Lange Brücke, die Freundschaftsinsel, am alten, stillgelegten Bahnhof vorbei. Schubert erzählt von einer Scheinverlobung. Er hat sich mit Therese, einer Österreicherin vom Berliner Ensemble, zusammengetan. Sie haben bei den Ämtern einen Heiratsantrag gestellt. Eigentlich lebt Therese, die Scheinverlobte, mit einer Französin zusammen. In Westberlin und Paris.
    Der Weg ist lang, aber nicht lang genug, um das alles in diesem einen Erwin, einer einzigen Person, unterzubringen. Die Nacht ist kalt. Der Glühwein verflüchtigt sich, doch ein Rausch hängt nach. Wie Musik, geschwisterlich, vertrauensselig.
    Die schwere Tür der Tauber-Villa öffnet sich stumm, wie geschmiert drehen die Angeln, der Zapfen gleitet sanft und geräuschlos ins Schloss. Nur der Katzennapf unten an der Treppe klirrt zu dieser nachtschlafenden Stunde. Das könnte die durch das Haus streunende Katze selbst gewesen sein, aber das war Schubert, Schuberts Fuß. Begleitet von einem Fluch. Du glaubst es nicht, was der draufhat. Fucking.
    Schubert steigt hinter Eli treppan.
    Das darf nie nie nie einer erfahren.
    Eli putzt sich die Zähne. Schubert liegt im Internatsbett, unter der Decke, zugedeckt bis unter das Kinn. Im Unterzeug. Eli streckt sich im Nachthemd neben ihm aus.
    Die Französin, also die Gefährtin seiner Scheinverlobten, arbeite drüben in Westberlin an der Schaubühne, das sei ein Theater mit Weltruf. Schubert habe einen Film gesehen, eine Aufzeichnung einer Aufführung mit mehreren Kameras. Eli müsse die Erzählungen von Tschechow lesen, unbedingt. Auch

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