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Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
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noch nie eine Platte von Elvis gehört, überhaupt, zu viel leerer Raum. Zu wenig Schmerz, und wenn, dann von Dietrichs Pranke, von seinen Ellenbogen. Blaue Flecke.
    Eli rennt herum, von einer Bildungsstätte zur nächsten. Vom Stalin-Haus zur Fachwerkvilla, wo die Schauspielstudenten studieren.
    Während Eli als Vertretung des Regieassistenten die Stichwörter für Maria Stuart und Elisabeth und Mortimer gibt, denkt sie immer noch an den armen Kerl aus Dresden, den katholischen Nachbarsjungen, den gutmütigen Kindheitsgespielen, der von seinem Vater verdonnert wurde, mit nackten Knien auf dem Waschbrett zu knien. Manchmal einen langen Sonntag bis zum Läuten. Sie hätte ihn retten müssen. Seinen guten Glauben. Seine Zuversicht. Dietrich und Rafaela. Ein Foto auf der Kredenz. Bald auch Kinder. Eins oder zwei. Dietrich, was bildest du dir eigentlich ein. Die Schuld wirft Schlingen. Ich habe ihn auf dem Gewissen. Wie er wütet und bockt und nicht mehr leben will. Vom schroffen Kreidefelsen wird er sich stürzen. Am Ende der Insel Rügen. Wellen werden ihn greifen, die Ostsee wird ihn verschlingen. Unendlich die Freiheit und die Schuld. But you have nothing to fair but fair itself. Oder der beleidigte Dietrich wartet hinter dem Haus, lauert hinter einem Baum, wie früher mit Pfeil und Bogen oder mit einer Sechzehner PP. Munition von der Schützenhofkaserne, unser Kinderspielzeug. Wie früher geht es um die Ehre und auf Leben und Tod. Ach, hätte ich doch einst das Dubbert’sche Waschbrett gestohlen. Das Folterwerkzeug steht gewiss heute noch unter der Kellertreppe.
    Eli flüchtet. Der Vorführraum ist eine warme dunkle Höhle. Der samtene Sessel ein Schoß. Das schlechte Gewissen schreibt die besten Romane. Hatte das nicht der Dekan gesagt oder Ludwig? Eli erträumt sich für Dietrich Dubbert in Rostockhimmlische Möglichkeiten. Der Onkel hat endlich geheiratet. Eine Kriegerwitwe mit zwei erwachsenen Töchtern. Die Urlaubstage vergehen wie im Flug. Brigitte oder Karin. Dietrich weiß nicht, welche er will. Abwarten, Tee trinken. Spielarten des Paradieses. Während vorn auf der Leinwand eine Kunstlichtübung des Studienfaches Kamera läuft. Experimente mit Streichhölzern. Die Flamme. Total, Halbtotal, Nah und Groß. Die Fenster sind mit schwarzem Wachstuch verhängt. Im Projektorlicht schwirrt der Staub. Es ist Tag oder Nacht. Windiges Klappern, das sind die Apparate, die Malteserkreuze. Spulen, schlappe Filmstreifen. Wiederholungen. Und das tiefe Atmen der Schläfer ringsumher.
    Meng Hai-Feng ist wach, hell bei der Sache, sehr kritisch und voller eigener Ideen. Er flüstert. Eli, du gute Kumpelfrau, er reißt sie rücksichtslos aus ihren wirren Gedanken: Du meine liebe Gehelferin. Für die nächste Übung, Kunstlicht, diesmal mit Aktion, er brauche dringend ihren Kopf, das lange gelbe Haar, erst wie Vorhang zu, dann wie Vorhang auf. Dahinter frohes Gesicht.
    Dauert höchstens zwei Stunde. Zwei Stunden frohes Gesicht.
    Mach ich, sagt Eli.
     
    Die erste Klappe fällt. Meng Hai-Feng schaut nicht mehr auf die Uhr. So muss es sein. Meng Hai-Feng weiß, was er will. Er sieht Bilder, vorerst im Kopf, Schatten, deutliche Zeichen. Das Außenlicht stört, der Hintergrund ist zu hell, eine defekte Kohlefadenlampe, die Kamera transportiert nicht. Die Ari muss ausgetauscht werden. Wer kümmert sich um die Lampen? Eli muss derweil die eingerichtete Position halten. Kopfüber, bleib so, die Spitzen der Haare müssen die Erde berühren, dann, nach dem Klappeschlagen und der Ansage: Meng, Kunstlicht drei, die Neunte, dann Meng, laut von der Seiteund sehr chinesisch: Bitte! Mit vollem Schwung Kopf hoch, damit die Mähne in vollem Licht an der Kamera vorbei in hohem Bogen nach hinten fliegt. Das ist die Kunst. Über alle technischen Schwierigkeiten hinweg. Eli hält aus. Ihre Haare stinken wie angebrannt. Die endlosen Pausen und die unnötigen Aktionen. So ein Schwachsinn. Eli bleibt am Platz.
    Um Mitternacht hat Meng zu den Rohfilmmetern, die jedem Kamerastudenten im dritten Studienjahr für diese Übung zur Verfügung stehen, außerdem sein heimlich gesammeltes Material verdreht. Jetzt, wo er sowieso nichts mehr retten kann, hat er das Beste getan. Jetzt ist er zufrieden. Kameraübung Kunstlicht im Kasten. Was auch kommen mag, er ist verliebt in seine schlummernde Schöpfung. Morgen trägt er die Blechbüchsen zum Kopierwerk. Nächste Woche kümmert er sich um das Negativ und unterschreibt für die erste Kopie. Die trägt er im

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