Sepia
Rollkragenpullover, auch aus dem Karton. Der gehört bis auf weiteres mir.
Schubert, der sonst zu meinen Klamotten keine Meinung zeigt, meint, ich sei ein Typ für Schwarz. Also folge ich seinem Rat. Mütze, Socken, Unterzeug: schwarz.
Liebe Erika, Schubert meint, ich soll mein schriftliches Treiben Versuch nennen,
Versuch über Laokoon
. Das tönt.
Die elende Anwesenheitspflicht hält mich fest. Laokoon stagniert. Ich hoffe, dass die Dresdner im Albertinum wenigstens irgendwo eine Abbildung von dem zerbombten Abguss finden. Inzwischen suche ich einen Anfang. Ich werde mit einer Wolkenstory starten, erste Szene: Wie die Söhne des Priesters Laokoon ein Stierkälbchen für das Opferfest fangen, also ein mythisch-fröhlicher Auftakt.
Das Schlusskapitel soll mit möglichst viel Dokumentarmaterial von der Wiederherstellung der alten Version erzählen, unbedingt mit einer Würdigung des glücklichen Finders. Unsere Bibliothekarin im Stalin-Haus, immer noch das Goldstück Frau Felber, ist fleißig auf der Suche nach Aufzeichnungen über die Spürnase Pollak. Es gibt einen Titel in Wien. Leider haben wir in dieser Richtung keine Möglichkeit, was per Fernleihe zu bestellen, wir vermuten jedoch, dass man in der Zentralbibliothek in Leipzig ein Exemplar der Wiener Publikation im Bestand hat. In dem Falle muss Dein Nachmittagsschatten Dr. Richter (der zum Glück wieder zurückgekommen ist!! Nicht in seine Praxis, sondern in die Poliklinik) für mich eine Krankheit suchen, ohne Ansteckungsgefahr, ohne Bettruhe. Eine schlichte Seminaruntauglichkeitsbescheinigung (Fischvergiftung), damit ich nach Leipzig und auch nach Dresden fahren kann. Richter schreibt altbewährte Atteste. Im Notfall, die Mädchen sagen, man darf ihn nicht überfordern.
Liebe Erika, ich bin neugierig auf Deine Erkundungen in Rom, ob Verwandte, Nachkommen? oder Nachbarn oder Bekannte von Pollak noch in Rom wohnen. Seine Person, Herkunft, Ausbildung, Lebensweg, Pollak steht als Epilog, vielleicht mit einer Rede über Marmor.
Verbote und Grenzen vergisst man mit der Zeit wie anhaltende Kälte oder wie den Dauerregen im November und die Müdigkeit mitten am Tag.
Ludwig soll ein Theaterstück geschrieben haben.
Das weiß Peter Tetzner. Sein Vater hat erzählt, ein Text mit dem Titel
Haiti
habe auf dem Tisch des Deutschen Theaters gelegen. Kurz und aussichtslos. Man weiß nicht, wie er dorthin gekommen ist. Vielleicht über Hacks, sagt Tetzner. Eli hört Radio, mit Netzteil oder mit Batterie, Kultursendungen aus dem Westen. Sie wartet auf seine Stimme oder auf eine Verlautbarung über das Stück. Sie kennt die Radioprogramme, die Übernahmen und Wiederholungen. Die Wiederholung der Wiederholung. Die Wiederholung wird auch von den anderen Sendern wiederholt. Die Frühkultur kann man am Mittag, am Nachmittag, am Abend und um Mitternacht noch einmal hören. Bis das kulturelle Geschehen in Fleisch und Blut übergegangen ist. Lang und breit über den im sächsischen Großbaselitz gebürtigen Maler. Die Bilder
Der nackte Mann
und
Die große Nacht im Eimer
in der Berliner Galerie Werner und Katz von der Staatsanwaltschaft wegen Unsittlichkeit beschlagnahmt. Zwei Bilder von Georg Baselitz beschlagnahmt. Beschlagnahmt in Berlin wegen Unsittlichkeit. Beschlagnahmt in Berlin. In Berlin. Berlin. Berlin. Ost oder West. Das wäre mal die Frage. Ist aber keine. Werner und Katz, eine Galerie im Westen der Stadt. Dort, wo die Dekadenz wohnt. So weit soll es im Osten gar nicht erst kommen. Ist es aber doch. In Dresden. Schwarze Strichmännchen, die auf der Leinwand voneinem Häuserblock zum anderen über ein Hochseil balancieren. Unter dem Seil züngeln die Flammen, es wird heiß, die Füße brennen.
Im hinteren Terrain der Tauber-Villa wuchern Pappelschösslinge aus dem Grund, Wurzeln treiben, Sämlinge gedeihen. Bald wird ein Pappelwald in den Himmel wachsen.
Das Gebüsch im Parkwinkel zittert manchmal. Die Brombeerhecke atmet, räkelt sich wie ein schlafender Riese, doch gleich ist es wieder still. Wintergrün. Undurchdringlich. Abseits. Vergessen.
Eli hat von ihrem Dachfenster aus eine Wildschweinrotte beobachtet, Bache, Eber, gefolgt von sieben Frischlingen. Sie leben hier, sie schlafen im Gebüsch, suhlen sich im einstigen Teich neben der gemauerten Pergola. Deutliche Spuren führen durch das Gelände. Aufgeworfene Erdschollen. Ein Trampelpfad geht zum Haus, dann weiter unter der Dachtraufe, an Keller- und Küchenfenstern vorbei. Lehmann.
Spanner Lehmann
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