Sepia
wirklich Mühe gegeben, sie hat ihrem Enrico eingeredet, dass er den neuen Papst sehen will, nur um noch einmal hinfahren zu können zum Petersplatz, scheinbar zum neuen Paul, vor allem aber zu Laokoon mit den bösen Schlangen, die beißen und Aua machen und sogar einen Namen haben. Porkis und Chariboia. Erika hat mit einem Steinmetz geredet, der dabei war, als sie den Arm des Laokoon ausgewechselt haben, den wehrhaft falschen ab und den von Pollak gefundenen richtigen dran. Eli stellt sich das vor. Erika mit den Kindern im Gespräch mit dem Mann, der die Szene erzählt: Die Skulptur wird auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt, man findet sogar in einem Werkstattregal einen Keil aus Marmor, der hatte dort bis zum Tage der Wiederherstellung, also ein paar hundert Jahre herumgelegen, der gehörte zwischen den Pollak-Arm und die Schulter der Skulptur und lieferte zum Schluss den Beweis.
So ist der über zweitausend Jahre alte Laokoon heute endlich richtig.
Aber wie konnte es denn dazu kommen? – Das Wiederfinden war eins, wie konnte denn diese hochgeschätzte Figur ihren Arm verlieren?
Rückblende Rom 1506.
Bauarbeiten in der Region des Goldenen Hauses. Die Sensation – ein seit Ewigkeiten verschollenes antikes Kunstwerk steigt ans Licht. Priester Laokoon mit seinen Söhnen. Wer am Rande steht, beobachtet, wie in der Aufregung der Wiedergeburt, im Trubel zwischen Arbeitern und den vielen Neugierigen, einzelne Teile, ein marmorner Arm, ein Kinderfuß, liegenbleiben, schließlich gar verbummelt werden, aber zum Glück, wie man im Allgemeinen schon weiß, nicht von der Erde verschwinden. Wenn man Glück hat, kommt Verlorenes wieder ans Licht.
Zurück in die Gegenwart. Erika mit Kinderwagen. Enrico trottet an ihrer Seite. Unterwegs spricht Erika deutsch mit den Kindern. Enrico schleppt immer noch sein rotes Seidentuch mit sich herum. Viele Knoten sind drin und Löcher. Er nuckelt manchmal. Wehe, wenn wir das Tuch verlieren.
Die Szene spielt vor dem Portal des Palazzo Odescalchi an der Piazza Santissimi Apostoli. Hausbewohner haben sich auf der Straße versammelt. Sie reden mit Erika, vor allem aber untereinander. Laut und engagiert, wie es sich gehört in Rom. Von einer Familie Pollak weiß niemand. Die soll im Haus gewohnt haben? Pollak gibt es hier nicht. Die Leute scherzen mit den Kindern, bringen den Kleinen im Kinderwagen zum Lachen. Enrico klammert sich an seine Mama.
Erika will es noch nicht glauben. Dottore Pollak, ein Kunsthistoriker, mit Frau und zwei Töchtern?
Erika bedauert in ihrem Brief: Niemand kann sich erinnern, aber die Älteren müssen ihn eigentlich noch gekannt haben. Ich verstehe das nicht, es war doch zu ihren Zeiten, so lange ist es nicht her.
Auf dem nächsten Brief, nach seiner Datierung vor dem Bericht vom listigen Ausflug mit den Kindern geschrieben, findet Eli einen Kaffeering, den Abdruck einer größeren Tasse, außerdem findet sie das Dresdner Couvert mit Klebstoff ziemlich liederlich zugekleistert. Kristallkörnchen rieseln aus dem Umschlag aus Rom. Salz. Zucker? Es ist Zucker. Römischer? Oder Dresdner? Geheimnisse der Post. Kapitel für sich. Fragen, die ins Abseits führen.
Mir ist ja was passiert, schreibt Erika in diesem vorvorigen gezuckerten Brief. In der Bibliothek des deutschen archäologischen Instituts haben sie mir ziemlich hämisch sechs Karteikästen vor die Nase gesetzt. Sechsmal ungefähr sechshundert Titel.Das ist Laokoon. Darauf habe ich ein paar neuere Bücher zur Ansicht in den Lesesaal bestellt. Du wirst Dich wundern. Die Geschichte mit dem gefundenen Arm spielt kaum eine Rolle. Meist streitet man sich um Zahlen, wann die Skulpturengruppe entstanden ist und ob Original oder Nachbildung einer früheren Plastik. Drei Bildhauer aus Rhodos werden als Schöpfer genannt und gepriesen. Hagesandros. Polydoros. Athanodoros. Das gilt als sicher, denn man hat kürzlich in Sperlonga, nicht weit von Rom, Skulpturen in einer Grotte im Meer gefunden, von denen man durch Signaturen bestimmt weiß, wer sie gemacht hat – die drei Künstler aus Rhodos. Das musst du den Experten einfach mal glauben. Ob zwei- oder dreihundert Jahre früher oder später, kümmert Dich das? Zum Schluss bin ich noch auf ein Buch gestoßen, eine Veröffentlichung des Wiener Akademieverlages. Wahrscheinlich der nämliche Titel, den Frau Felber für Dich ausfindig gemacht hat. Der unfreundliche Kerl am Tresen hat das Buch, knirschend, mit Blick auf seine Armbanduhr, aus dem Magazin
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