Sepia
oder fünfmal im Jahr wird geerntet, gesät und geerntet. Thymian, Hirse, Mohn. Im Monat des Sirius werden die zarten frisch keimenden Pflanzen auf die Dächer in die Sonne getragen, so will es der Brauch. Man bringt dem jungen hübschen, etwas schussligen Gott Adonis ein Opfer. Im Monat des Sirius liegt das Flussbett des Skamander trocken. Die Erde knistert in der Nacht und stöhnt in der Hitze des Tags. Das Land lechzt nach Wasser. Das trojanische Volk lechzt nach Frieden.
Das erste Kapitel heißt
Friedensopfer
. Untertitel: Laokoon.
Eli schlägt das linierte DIN-A4-Heft auf, die erste Seite. Eine neue Mine steckt im Kugelschreiber. Schmieriges Grün, aber das macht nichts, die Zeilen schwimmen, auch das macht Eli nichts aus. Das trübe Augenlicht hat seine Ursachen. Es kommt vom Blei, das sich einen anderen Platz gesucht hat in Eli. Die Zeilen gehen auf und nieder. Die grüne Schrift geht auf und nieder. Auf ab auf und ein Pünktchen drauf. Sütterlin. Papa führt noch einmal Elis Hand. Schnell schöne Buchstaben, schnell und geduldig, bis Eli das I gelernt hat. Dann marschiert Papa an die Front.
Lieber Ludwig,
am Tage lese ich Flaggenzeichen. Am Abend studiere ich Wolkensignale. Das Fensterquadrat schafft den Rahmen, meinerechte Hand reagiert, und ich denke an Deine rebellischen Finger und Deine Meinung, am Abend bin ich so weit, das Heft, der Kugelschreiber, die Geschichte der Friedensbedingungen, die grüne Schrift, ich verlasse mich darauf: Du führst meine Hand.
Der Bettwäschewechsel erfolgt reibungslos immer am letzten Dienstag im Monat. Die dreckigen Stapel liegen in den Treppenhäusern. Das Wäscheauto sammelt ein und verteilt die verschnürten aus der Großwäscherei kommenden Pakete, die Frischwäsche. Wenn nicht gestreikt wird. Es wurde noch nie gestreikt. Aber gestern wurde in der Großwäscherei gestreikt.
Das ist schlecht für die Studentenbetten und für Jürgens Film, denn Jürgen, viertes Studienjahr Kamera, hat einen Film vorbereitet, der in einer Großwäscherei gedreht werden soll. Seine Konzeption stützt sich auf die Farbe Weiß, auf mächtig große weiß dampfende Bottiche. Wasserschläuche. Tropfgeräusche, unverständliche, meist heitere Stimmen. Auf schwere weißgraue Wäsche, die wie ein Lavastrom vom heißen Kessel in eine kalte Wanne klatscht. Weiß auch in den Trockenräumen und an der Mangel. Am Ende hat man nur Frauen gesehen. – Frauen, die aus dem Frauengefängnis hergebracht worden sind, das steht nicht in Jürgens Konzeption, auch nicht im Antrag für die Drehgenehmigung. Das hat Jürgen nicht gewusst. Das hat niemand gewusst. Jürgen hat sich für seinen Kamerafilm ein stilisiertes, aber auch optimistisches Sujet ausgedacht. Eine schwere Arbeit, hin und wieder Originalton, Geräusche, ferne Gespräche, vor allem kollektives Lachen aus der Totale. Am Ende saubere Bettlaken, weiße Wäsche.
Mehr Wirklichkeit hat Jürgen gar nicht gewollt. Er sucht Argumente, um seinen poetischen Wäscherinnen-Film zu retten. Alles ins Atelier verlegen. Mit Taglichtlampen. Sparsam mit künstlichem Nebel. Semidokumentar, in vorhandenen Kulissen,in Glitzerwänden, wichtig der Nebel und die schwitzenden Frauen.
Jürgen ahnt nicht, dass sein Weiße-Wäsche-Projekt nicht mehr nur ein Fall ist, der sich auf die Kameraabteilung samt ihrer formalistischen Kameraästhetik beschränkt. Man stellt die Frage, ohne Jürgen, auf Leitungsebene. Wer die Dinge so unverantwortlich weit aus dem Ruder hat laufen lassen? Bis in den thematischen Plan. Einen Film mit dem Drehort Wäscherei. Ohne die Gegebenheiten zu prüfen. Der Rektor lädt ein. Thema Bildungsauftrag. Man prüft, was noch zum Problem werden könnte im kommenden Jahr: alle Filmprojekte, alle Themen der Abschlussarbeiten. Alles, was mit Wäschewaschen zusammenhängt, hat jetzt erst einmal sehr schlechte Karten. Wenig Chancen hat ein Film, in dem Frauenbrigaden agieren. Auf dem Prüfstand stehen vor allem Koproduktionen mit Barrandov und den Formalisten in Polen und mit der Schule in Moskau.
Für die Studentenbetten werden unverzüglich direkt aus Plauen im Vogtland neue Laken und Bezüge angeschafft. Bügelfrei, gelb, bedruckt mit blauen Blumen.
Eli ruht in Schuberts Arm. Ich möchte gern denken, dass du der bist, den ich haben will. Der sogenannte Einzige und bis zum sogenannten Tode. Sie liegt nicht sehr bequem, aber sie hat sich an seinen Ellenbogen unter dem Kopf gewöhnt und an seine Finger, die auf ihrer Stirn
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