Septemberblut
verzeihen.
»Reich mir deine Hände«, sagte ich mit bittersüßer Stimme.
Ahnungslos legte Amber ihre Hände in meine. Ich hielt sie fest.
Steven reagierte blitzschnell. Es klackte, und im nächsten Augenblick hatten sich die Fesseln um Ambers Gelenke geschlossen. Für eine Sekunde erstarrte sie und wandte den Kopf fragend in meine Richtung.
»Es tut mir leid«, sagte ich mit bebender Stimme. »Dir wird nichts geschehen, ich schwöre es.«
Amber schrie auf und begann zu toben. Mit so einer Gegenwehr hatte keiner von uns gerechnet. Steven hielt ihre Hände fest, während ich ihren Körper umklammerte. Mit Leichtigkeit hätten wir ihr die Knochen brechen können.
»Tu ihr nicht weh, Steven!«, schrie ich. »Bitte!«
Ich riss die Augenbinde von ihrem Kopf. »Amber, Amber, beruhige dich!«
Keine Chance. Das Messer, das in ihrem Gürtel steckte, sandte Morddrohungen in alle Richtungen. Stevens Gesicht war schmerzverzerrt.
Dava, die nicht viel älter war als er, rannte in Panik davon. Auch ich hatte das Gefühl zu verbrennen. Ambers Körper strahlte heiß wie glühende Kohlen.
Ich bot meinen ganzen Willen auf und riss das Messer aus ihrem Gürtel.
Sobaldich es berührte, zerrte ein heftiger Sog fast alle Lebensenergie aus meinem Leib. Es fühlte sich an, als hätte jemand meine Nervenbahnen gepackt und mit einem Ruck aus den Gliedern gerissen.
Ich schrie gepeinigt auf, ließ die Waffe fallen und taumelte auf weichen Knien zur Seite.
Meine Hand brannte wie Feuer. Ich wagte kaum, sie anzuschauen. Sah im Geiste verkohlte Stümpfe anstelle der Finger, dachte an den sterbenden Vampir, den das Messer getroffen hatte. Doch es war nichts passiert.
Amber hörte auf zu schreien. Ihr Brustkorb bebte.
Jetzt war sie unsere Gefangene und starrte wie ein in die Enge getriebenes Tier in die Runde. Doch Amber besaß Kampfgeist, und sie war noch lange nicht bereit, aufzugeben.
Plötzlich ließ sie sich auf den Boden fallen und warf sich mit aller Kraft in Richtung Messer.
Steven wurde vorwärtsgerissen, doch zum Glück hielt er die Handschellen gut fest. Als sie merkte, dass sie gegen ihn nicht ankam, gab Amber endlich auf und blieb liegen.
Ich stützte mich gegen die Wand und atmete schwer.
Die verlorene Energie kehrte nicht zurück. Mein Körper war ausgelaugt wie nach einer mehrwöchigen Fastenkur. Ich blinzelte immer wieder, doch der Raum wollte einfach nicht stillstehen. Amber schien sich auf dem Boden zu krümmen und doch wieder nicht, der Teppich unter ihr kreiste und verwischte die Muster zu verschwommenen Flächen.
Für einen Augenblick herrschte gespenstische Ruhe.
Brandon, der indianische Vampir, war hinter seine Dienerin getreten, als hätte sie ihn vor dem Messer beschützen können. Er starrte die Waffe auf dem Boden an, als würde sie jeden Moment zum Leben erwachen.
Eivi und Manolo hatten sich sogar bis in den Eingang unseresVersammlungsraumes zurückgezogen. Alle schienen auf etwas zu warten, und sie erwarteten es offensichtlich von mir.
Scharfe Schritte von Highheels durchbrachen die Stille. Kathryn kehrte mit einer hölzernen Schachtel und einem Pullover in der Hand zurück. Abwartend hielt sie ihn mir hin. Das Messer war nicht ihr Problem, sondern meines.
»Mach schon, Julius«, sagte sie schneidend. Sie hatte mir nichts zu befehlen, doch ich wusste, dass die Order von Curtis kam.
Erschöpft stieß ich mich von der Wand ab, wickelte mir den dicken Wollstoff um die Hand, hob das Messer auf, ohne das mir etwas geschah, und legte es vorsichtig in die Holzkiste.
Sobald Kathryn den Deckel geschlossen hatte, machte sich Erleichterung breit. Die Spannung, die alle Vampire in den letzten Minuten befallen hatte, ließ nach.
Mit zähen Schritten durchquerte ich den Raum. Jede Bewegung schien eine zu viel. Amber saß noch immer auf dem Boden. Ihre Hände waren durch den Druck der Handschellen blau angelaufen. Sie rang nach Atem und starrte enttäuscht zu mir hinauf. Ihr Blick war verletzend. Wie sollte ich das je wieder ungeschehen machen? Es war unmöglich.
Ich wollte Amber aufhelfen, doch sie schüttelte meine Hand ab. Ihre Augen blitzten wütend. Ich hatte ihr Vertrauen schändlich gebrochen, das wusste ich. Doch es war nicht meine Entscheidung gewesen.
»Amber, es tut mir leid, aber es ging nicht anders«, sagte ich kleinlaut.
Sie ignorierte mich und sah dorthin, wo Kathryn mit dem Messer verschwunden war.
Mir wurde immer deutlicher bewusst, wie viel mich die Berührung der Waffe gekostet hatte.
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