Septemberblut
Schlüssel aus der Tasche gestohlen hatte.
Amber sah mich an und schwieg noch immer. Sie war tief enttäuscht von meinem Verrat. Und sie hatte Angst, fürchtete den anderen, unbekannten Julius, das untote Monster mit dem hübschen Gesicht.
Ich schloss Ambers Handschellen auf und legte sie auf den Tisch. Seit ich ihr das Messer abgenommen hatte, stellte sie keine Gefahr mehr da, und ich war mir sicher, in Curtis’ Einvernehmen zu handeln.
Geplagt von Schuldgefühlen setzte ich mich zu ihr, liebkoste Ambers zitternde Hände und streichelte die geröteten Gelenke.
Sie reagierte nicht, sah mich nicht einmal an.
»Dir wird nichts geschehen, meine Liebe, Liebste«, beschwor ich sie.
Amber glaubte mir nicht. Willenlos ließ sie meine Berührungen über sich ergehen. Ich hob ihr Kinn, um in ihr Gesicht zu schauen.
Sie hatte aufgegeben. Ihre Augen waren gerötet von Tränen und Müdigkeit.
Ich hätte sie betören können. Die Begabung meiner Gattung nutzen, um ihr jede Angst zu nehmen. Doch das war falsch, verlogen. Ich wollte keine hirnlose Puppe, ich wollte sie, Amber, das traurige Mädchen in Schwarz. Das Mädchenmit den Sommersprossen, das nach Licht und Orangen roch.
»Ich konnte es nicht verhindern, Amber.«
Sie rückte ein Stückchen von mir ab und schwieg.
»Du hast mich gefragt, ob ich einem direkten Befehl meines Meisters widerstehen könne. Die Wahrheit ist nein, ich kann es nicht. Es ist schwierig zu erklären. Als wir hergekommen sind, habe ich nicht gewusst, was sie vorhatten. Ich war so dumm, nicht daran zu denken, dass Curtis sichergehen würde, dass du das Messer nicht benutzen kannst. Niemand will dir weh tun, ich nicht, und auch nicht die anderen Vampire«, redete ich auf sie ein. »Du bist hier sicher, hier bei mir. Dir wird nichts geschehen.«
Amber wich meinem Blick noch immer aus, aber ihre Körperhaltung war ein kleines bisschen weniger abweisend.
Wie sollte ich ihr nur erklären, was geschah, wie?
»Schau mich an, Amber. Bitte.«
Langsam, ganz langsam hob sie den Blick und sah mir direkt in die Seele.
Ich legte alles offen vor sie hin, mein Herz, meine Gefühle für die anderen und für sie. Nie in meinem Leben hatte jemand das gedurft, mich derart wund und schutzlos anzusehen. Außer vielleicht Curtis im Augenblick meiner Wandlung.
Amber hob die Hand und strich mir über die Wange. Einmal, zweimal. Die Kälte meiner Haut erschreckte sie nicht.
»Ich glaube dir.« Ihre Stimme war leise und rau.
Ich war schrecklich erleichtert, hielt ihre Hände.
»Was ist nur mit dir geschehen, Julius? Du hast dich verändert, ich kann es irgendwie … fühlen.«
Ich erzählte ihr, wie mich das Messer geschwächt hatte und von dem Bluttausch mit Curtis, der mich geheilt hatte undzugleich ein kostbares Geschenk war, das ein Clanherr nur äußerst selten gewährte. Amber hörte aufmerksam zu.
»Aber ich dachte, Vampire trinken nur menschliches Blut.«
»Es befriedigt unseren Hunger. Das Blut anderer Unsterblicher ist viel mächtiger, und im Gegensatz zu ihnen besitzen die meisten Menschen keine Magie.«
Noch immer berührte Amber meine Hand und spürte der Kraft nach. Jedes Mal, wenn sie ihre Finger wegzog und mich danach wieder anfasste, erhaschte sie eine Ahnung davon.
»Könnt ihr eigentlich keine Blutkonserven trinken? Das wäre weniger …«, sie stockte und sah auf ihre Hände, »weniger eklig.«
»Totes Blut?« Jetzt war es an mir, ein angewidertes Gesicht zu machen. Allein bei der Vorstellung drehte sich mir der Magen um. »Wir trinken auch die Lebensenergie. Es ist die Kraft, die ein Wesen lebendig macht, der göttliche Funke. Im alten Testament steht ›Blut ist Leben‹, und das stimmt«, erklärte ich. Dann gingen uns beiden die Worte aus.
Amber gähnte und rutschte auf dem unbequemen Stuhl herum. »Wie lange müssen wir denn noch warten?«
Ich legte einen Arm um ihre Schultern und küsste sie auf die Stirn. »Nicht mehr lang.«
So saßen wir schweigend und beobachteten, wie sich der Zeiger der kleinen Uhr an der Wand langsam der Vier näherte.
In meinen Ohren rauschte noch immer das Blut des Meistervampirs, es summte gleichmäßig und allgegenwärtig wie ferne Meereswellen.
Ein kurzes Zucken ihrer Hand, dann kippte Ambers Kopf nach vorne und ruckte sofort wieder hoch.
»Entschuldige«, murmelte sie und rieb sich die Schläfen.
»Möchtestdu etwas? Soll dir jemand etwas bringen, Essen oder was zu Trinken?«
»Einen Kaffee vielleicht.«
Es machte mir keine große Mühe,
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