Septemberblut
ruhen.
»Bald geht die Sonne auf. Ihr habt nicht mehr viel Zeit. Auf Wiedersehen, Miss Connan. Ich wünschte, wir hätten uns unter anderen Umständen kennengelernt.«
Amber schwieg, bis mein Meister endgültig fort war. Als seine Schritte auf der Treppe verklangen, war die Stille zum Greifen nah.
Ich ertrug es nicht länger und sah auf.
»Was hast du mir angetan, Julius?« Ihre Stimme bebte. »Was?!«
»Nachdemich von dir getrunken habe, gestern, wurdest du ohnmächtig. Ich hielt dich in den Armen, und …«
»Und?«
»Und ich ließ mein Blut auf deine Lippen tropfen. Du hast es nicht bemerkt. Es ist das erste von fünf Siegeln, das du empfangen hast. Fünf Siegel, das bedeutet fünf Blutgeschenke, dann ist der Mensch zum Diener eines Vampirs geworden.«
»Zu einem Sklaven?«
»Nein, nein. Anders und mehr als das, viel mehr. Der Diener lebt genauso lange wie sein Herr, er wird nie krank, nie alt. Du siehst also, es gibt Vorteile.«
»Was hast du mir da angetan, Julius?«
»Sieh es als ein Geschenk. Du und ich, wir sind eins. Du kannst meine Gedanken hören, und ich sehe durch deine Augen.«
»Und wenn ich es, verdammt noch mal, nicht will?«
»Dann tut es mir leid.«
»Kannst du es rückgängig machen?«
»Nein. Einzig der Tod kann die Verbindung trennen.«
Schweigen.
» Julius, ihr müsst los! « Curtis’ Stimme dröhnte in meinem Kopf.
Die nächsten Worte sagte ich mit zugeschnürter Kehle. »Wir fahren zurück und du wirst mich nie wiedersehen.«
Amber nickte wütend. »Gut so. Ich will auch nicht, dass ein Mörder in meinem Kopf ein und aus geht. Und das verdammte Messer könnt ihr behalten und euch damit gegenseitig massakrieren!«
Es gab nichts mehr zu sagen. In mir war alles kalt. Leer. Ich hatte sie verloren, war wieder allein. Amber ließ sich von mir die Augen verbinden, dann führte ich sie die Treppe hinunter.
Aufder Straße vor dem Kino wartete bereits der alte Mustang mit rasselndem Motor. Ein Diener hatte ihn vorgefahren.
Ich trat auf das Gas und verließ diesen Ort, der für mich fortan Heimat einer schrecklichen Erinnerung sein würde.
Als wir den Freeway erreichten, zeichnete sich der erwachende Morgen bereits als heller Pastellstreifen am wolkenlosen Himmel ab.
Schließlich bog ich in die Gower Street ein, und Amber hatte noch immer kein einziges Wort gesprochen.
Ich hielt an, ließ den Schlüssel stecken und lief davon. Ihre Augen waren noch immer verbunden, aber ich floh. Floh vor ihrem anklagenden Meergrün. Ich weiß nicht, ob sie die Binde abnahm und mir nachsah, wollte es gar nicht wissen.
Ich versteckte mich hinter der Trauerhalle und wartete, bis sie davonfuhr. Wütend eilte ich zu meinem Mausoleum, stieg die Stufen hoch und schloss mit zitternden Fingern die Tür auf.
In meinem unterirdischen Verlies verkroch ich mich in meinem Sarg und weinte, bis die Sonne meine Augen zu Milchglas gefror.
Amber raste den Sunset Boulevard hinunter. Der Ford dröhnte durch die Häuserschluchten.
Sie war wütend, so schrecklich wütend auf sich selbst. Wie hatte sie ihm nur vertrauen können? Es geschah ihr recht.
Julius hatte sie betrogen.
Von Anfang an, seit ihrer ersten Begegnung vor nicht mal zwei Tagen, hatte er sie belogen und benutzt.
Amber hämmerte wütend auf das Lenkrad, während sich die Sonne als brennende rote Kugel über den Horizont schob.
Niewieder, schwor sie sich, nie wieder!
In wenigen hundert Metern musste sie abbiegen, doch Amber dachte nicht einmal daran, ihre Fahrt zu verlangsamen.
Sie riss das Lenkrad herum, und der alte Ford rutschte mit quietschenden Reifen in die Kurve. Um ein Haar hätte sie einen nagelneuen BMW gerammt, der am gegenüberliegenden Straßenrand stand. Der Beinahe-Unfall rief Amber zur Räson, und sie fuhr die letzten Meter im Schneckentempo. Als sie geparkt hatte, legte sie den Kopf auf das Lenkrad und fühlte sich auf einmal zu schwach, um sich zu rühren.
Kapitel16
Die folgenden Nächte verbrachte ich wie in Trance. Streifte durch mein Revier, versuchte nicht an Amber zu denken und tat es doch die ganze Zeit.
Was sie wohl machte? Hasste sie mich?
Ich verbot mir, in ihre Gedanken zu schauen, und tat es tatsächlich nicht ein einziges Mal. Häufig zog es mich in die Nähe der Zuflucht. Ich lief barfuß über den Strand von Santa Monica und Venice, versuchte das Leben zu spüren, nach dem ich mich so sehr sehnte.
Ich dachte, ich hätte sie gefunden. Mein Licht, meine Flamme, an der ich mich wärmen und in deren Schein
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