Septimus Heap 01 - Magyk
Arm. Sie hatte noch nie etwas so Kaltes gespürt. Bestimmt war er schon tot.
Marcia beugte sich über das Gesicht des Jungen und murmelte etwas. Sie hielt inne und lauschte mit besorgter Miene. Dann murmelte sie wieder einige Worte, noch eindringlicher diesmal. »Erwache, Jüngling, erwache.« Sie verharrte einen Augenblick, dann blies sie ihm langsam über das Gesicht. Der Atem quoll endlos lange aus ihrem Mund hervor, immer länger und länger. Eine warme rosa Wolke hüllte Mund und Nase des Jungen ein, und langsam, ganz langsam wich das grässliche Blau einer lebendigen Röte. Der Junge rührte sich nicht, doch seine Brust hob und senkte sich kaum merklich. Er atmete wieder.
»Schnell!«, raunte Marcia Jenna zu. »Er stirbt, wenn wir ihn hier liegen lassen. Wir müssen ihn reinbringen.« Marcia hob den Jungen hoch und trug ihn die breite Marmortreppe empor. Als sie oben ankamen, schwang die massive silberne Tür des Turms geräuschlos vor ihnen auf. Jenna holte tief Luft und folgte Marcia ins Innere.
* 7 *
7. Der Zaubererturm
E r st als die Tür der Zaubererturms hinter Jenna zugefallen war und sie unversehens in der riesigen goldenen Eingangshalle stand, wurde ihr bewusst, wie sehr sich ihr Leben verändert hatte. Ein solches Bauwerk hatte sie noch nie gesehen, nicht einmal im Traum. Und ihr war klar, dass die meisten anderen Menschen in der Burg so etwas auch nie zu sehen bekommen würden. Sie war anders als die Menschen, die sie zurückgelassen hatte.
Überwältigt stand sie in der großen kreisrunden Halle und bestaunte die unbekannten Kostbarkeiten, die sie umgaben. An den goldenen Wänden flimmerten flüchtige Bilder mythischer Geschöpfe, Symbole und fremder Länder. Die Luft war warm und roch nach Weihrauch. Und sie war von einem leisen gleichmäßigen Summen erfüllt, dem Geräusch der Alltagszauber, die den Turm in Betrieb hielten. Der Boden unter Jennas Füßen bewegte sich, als sei er aus Sand. Er hatte hundert verschiedene Farben. Sie tanzten um ihre Stiefel und schrieben die Worte Willkommen, Prinzessin. Dann, als sie überrascht hinsah, färbten sich die Buchstaben rot. Beeil dich!
Jenna schaute zu Marcia auf, die leicht wankte, als sie mit dem Wächter auf den Armen eine silberne Wendeltreppe betrat.
»Mach schon«, rief Marcia ungeduldig. Jenna rannte zu ihr, setzte den Fuß auf die unterste Stufe und machte Anstalten, die Treppe hinaufzusteigen.
»Nein, bleib einfach stehen, wo du bist«, erklärte Marcia. »Den Rest erledigt die Treppe.«
»Los!«, befahl sie laut, und zu Jennas Erstaunen setzte sich die Wendeltreppe in Bewegung. Zuerst drehte sie sich ganz langsam, doch bald nahm sie Tempo auf, wirbelte immer schneller und schneller im Turm nach oben, bis sie das oberste Stockwerk erreicht hatten. Marcia stieg aus, und Jenna folgte ihr benommen, ehe die Treppe gleich darauf wieder nach unten wirbelte, weil ein anderer Zauberer sie gerufen hatte.
Marcias große lila Wohnungstür war bereits für sie aufgesprungen, und das Feuer im Kamin ließ eilends Flammen emporschießen. Ein Sofa rückte von selbst an den Kamin, und zwei Kissen und eine Decke segelten durch die Luft und landeten ordentlich auf den Polstern, ohne dass Marcia ein Wort zu verlieren brauchte.
Jenna half ihr, den Jungen aufs Sofa zu legen. Er sah schlecht aus. Er war käseweiß, hatte die Augen zu und schlotterte am ganzen Leib.
»Schüttelfrost ist ein gutes Zeichen«, bemerkte Marcia und schnippte mit den Fingern. »Runter mit den nassen Sachen.«
Die lächerliche Wachuniform flog vom Körper des Jungen und sackte auf dem Boden zu einem knallbunten nassen Haufen zusammen.
»Du bist Abfall«, sagte Marcia zu ihr. Die Uniform raffte sich zusammen und flatterte tropfend hinüber zum Müllschlucker, stürzte sich hinein und verschwand.
Marcia grinste. »Die wären wir los. Jetzt trockene Kleider an.«
Ein warmer Schlafanzug hüllte den Jungen ein, und sein Zittern ließ nach.
»Gut«, befand Marcia. »Komm, wir setzen uns eine Weile zu ihm, bis ihm warm ist. Er kommt wieder auf die Beine.«
Jenna ließ sich auf dem Teppich neben dem Feuer nieder, und bald erschienen zwei dampfende Becher mit heißer Milch. Marcia setzte sich neben sie. Auf einmal fühlte sich Jenna befangen. Die Außergewöhnliche Zauberin saß neben ihr auf dem Fußboden, genau wie sonst Nicko. Was sollte sie sagen? Ihr fiel überhaupt nichts ein, nur dass sie kalte Füße hatte, aber es war ihr peinlich, die Stiefel auszuziehen.
»Zieh doch
Weitere Kostenlose Bücher