Septimus Heap 01 - Magyk
beobachtete.
»Ich bin’s«, flüsterte Marcia und winkte ihn zu sich. Er schlüpfte lautlos unter der Decke hervor und tappte über die Fliesen zu ihr.
»Wie man mit diesem Tier in einem Zimmer schlafen soll, ist mir ein Rätsel«, zischte Marcia ärgerlich. Junge 412 grinste verlegen. Er behielt lieber für sich, dass er Maxie mehr oder weniger die Treppe hinaufgescheucht hatte.
»Ich gehe heute Nacht noch zurück«, sagte Marcia. »Ich will die Minuten um Mitternacht nutzen, um mir Gewissheit zu verschaffen. Du solltest dir merken, dass die Minuten vor und nach Mitternacht die beste Zeit sind, um sicher zu reisen. Besonders wenn draußen jemand ist, der dir Böses will. Und davon gehe ich aus. Ich werde mich zum Palasttor begeben und diesem Silas Heap den Kopf waschen. Wie spät haben wir’s?«
Sie zückte ihre Taschenuhr.
»Zwei Minuten vor Mitternacht. Ich bin bald wieder zurück. Vielleicht könntest du Zelda Bescheid sagen.« Marcia sah Junge 412 an, und da fiel ihr ein, dass ihm kein Wort mehr über die Lippen gekommen war, seit er ihnen im Zaubererturm seinen Rang und seine Nummer genannt hatte. »Was soll’s, so wichtig ist es auch wieder nicht. Sie kann sich ja denken, wo ich bin.«
Da fiel Junge 412 etwas Wichtiges ein. Er kramte in der Tasche seines Pullovers und zog den Charm hervor, den Marcia ihm gegeben hatte, als sie ihn fragte, ob er ihr Lehrling werden wolle. Er betrachtete das kleine silberne Schwingenpaar in seiner Hand mit leichtem Bedauern. Es schimmerte silbern und golden in dem magischen Licht, das Marcia bereits umgab. Er hielt ihr die Schwingen hin – er durfte sie nicht behalten, denn er konnte unmöglich ihr Lehrling werden –, doch sie schüttelte den Kopf und kniete neben ihm nieder.
»Nein«, flüsterte sie. »Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass du deine Meinung änderst und doch noch mein Lehrling wirst. Denk darüber nach, solange ich fort bin. Jetzt ist es nur noch eine Minute bis Mitternacht... Tritt zurück.«
Die Luft um Marcia wurde kalt, und die Schwingungen eines mächtigen Zaubers hüllten sie ein und luden die Luft elektrisch auf. Erschrocken, aber auch fasziniert wich Junge 412 zurück zum Kamin. Marcia schloss die Augen und murmelte einen langen und komplizierten Spruch in einer Sprache, die er noch nie gehört hatte, und vor seinen Augen erschien derselbe magische Schleier, den er schon auf der Muriel im Deppen Ditch gesehen hatte. Marcia warf den Umhang über sich, sodass er sie von Kopf bis Fuß bedeckte, und das Lila des magischen Schleiers vermischte sich mit dem Lila des Umhangs. Dann ertönte ein lautes Zischen wie von Wasser, das auf heißes Metall spritzt, und Marcia verschwand, einen schwachen Schatten hinterlassend, der sich nach ein paar Sekunden vollends auflöste.
Zwanzig Minuten nach Mitternacht wachte am Palasttor ein Zug Gardisten, wie in jeder der letzten fünfzig bitterkalten Nächte. Die Männer froren und stellten sich auf eine weitere langweilige Nacht ein, in der sie nichts weiter zu tun haben würden, als von einem Fuß auf den anderen zu treten. Und das nur, weil der Oberste Wächter sich einbildete, dass die ehemalige Außergewöhnliche Zauberin ausgerechnet hier auftauchen würde. Einfach so. Natürlich war sie noch nicht aufgetaucht und würde wohl auch nicht mehr auftauchen. Trotzdem schickte er sie jede Nacht hinaus, und sie mussten sich in der Kälte die Beine in den Bauch stehen.
Deshalb trauten die Gardisten ihren Augen nicht, als in ihrer Mitte plötzlich ein schwacher lila Schatten erschien.
»Das ist sie«, flüsterte einer, der vor den magischen Kräften Angst bekam, die plötzlich in der Luft wirbelten und schmerzhafte Stromstöße durch ihre schwarzen Metallhelme schickten. Die Gardisten zogen ihre Schwerter und beobachteten, wie sich der verschwommene Schatten zu einer hohen Gestalt verdichtete, die in den lila Umhang der Außergewöhnlichen Zauberin gehüllt war.
Marcia Overstrand war in die Falle getappt, die ihr der Oberste Wächter gestellt hatte. Sie wurde überrumpelt. Ohne ihren Talisman und den Schutz der Minuten um Mitternacht – sie kam zwanzig Minuten zu spät – konnte sie den Hauptmann der Garde nicht daran hindern, ihr das Echnaton-Amulett vom Hals zu reißen.
Zehn Minuten später lag sie auf dem Boden von Verlies Nummer eins, einem tiefen finsteren Schacht in den Kellergewölben der Burg. Sie war in einem Strudel von Schatten gefangen, den DomDaniel mit größtem Vergnügen eigens
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