Septimus Heap 03 - Physic
machen wollten, gelegentlich auch einen Liebesbrief. Jeder hockte an einem hohen Pult und arbeitete in einem kleinen gelben Lichtkegel, den eine von einundzwanzig Öllampen warf, die an langen und mitunter bedenklich durchgescheuerten Schnüren von der Decke baumelten.
Die Obermagieschreiberin winkte Jenna, ihr zu folgen. Jenna schlich unwillkürlich auf Zehenspitzen durch die Reihen der hohen Pulte, doch jeder einzelne Schreiber drehte den Kopf nach ihr und fragte sich, was die Prinzessin wohl hierherführte und wieso sie ein Paar alte Stiefel in der Hand trug. Einundzwanzig Augenpaare beobachteten, wie sie Jillie Djinn zu dem schmalen Gang folgte, der in die Hermetische Kammer führte. Erstaunte Blicke wurden gewechselt, und ein paar Augenbrauen fuhren in die Höhe, doch keiner sagte ein Wort. Und als Jenna hinter der ersten Kurve des Ganges verschwunden war, kehrte das Kratzen der Federn auf Pergament und Papier wieder zum üblichen Maß zurück.
Der lange Gang, der in die Hermetische Kammer führte, machte sieben scharfe Biegungen, um bösartigen Zaubern und allem Sonstigen, das versuchen könnte, aus der Kammer zu entwischen, die Flucht zu erschweren. Außerdem ließ er kein Licht durch, doch Jenna folgte einfach dem Rascheln von Jillie Djinns Seidenrobe. Bald gelangte sie in einen kleinen weißen und kreisrunden Raum. Er war fast leer. In der Mitte stand ein einfacher Tisch mit einer brennenden Kerze darauf, doch es war nicht die Kerze, die Jennas Blick auf sich zog, sondern der Spiegel – ein großer, dunkler und schrecklich vertrauter Spiegel mit reich verziertem Rahmen –, der an der rau verputzten Wand der Hermetischen Kammer lehnte.
Jillie Djinn sah, dass jede Hoffnung aus Jennas Gesicht schwand. Septimus war nicht hier. Nur wieder so ein Spiegel, und das war das Letzte, was sie sehen wollte.
»Durch meine Nachforschungen weiß ich«, sagte die Schreiberin, »dass die frühen Spiegel einfache Einbahnöffnungen waren. Und nach meinen Berechnungen würde ich sagen, dass dieser Spiegel ein frühes Modell ist und zur selben Zeit hergestellt wurde wie der Spiegel im Königinnengemach. Ja, ich vermute sogar, dass man durch diesen hier wieder von jenem Ort zurückkommt.«
»Von dort, wo Septimus jetzt ist?«, fragte Jenna und schöpfte wieder Hoffnung.
»Ganz recht«, sagte Jillie, »wo immer das auch sein mag. Darum würde ich eines gern wissen: Sieht dieser hier genauso aus wie der Spiegel im Königinnengemach?«
»Nun ja, er war nicht direkt im Königinnengemach«, erwiderte Jenna.
»Ach.« Jillie blickte überrascht. »Wo denn dann?« Sie klaubte einen Notizblock vom Tisch und wartete mit gezücktem Stift auf die Antwort. Doch die Antwort kam nicht.
»Das kann ich nicht sagen«, erklärte Jenna, indem sie sich den dienstlichen Ton der Obermagieschreiberin zu eigen machte. Sie war die aufdringlichen Fragen leid. Die Geheimnisse des Königinnengemachs gingen die Schreiberin nichts an.
Jillie Djinn blickte verärgert, konnte aber nichts tun. »Aber dieser Spiegel sieht genauso aus wie der andere Spiegel – wo immer er auch stehen mag?«, fuhr sie unbeirrt fort.
»Ich glaube schon«, antwortete Jenna. »Ich kann mich nicht mehr an jede Kleinigkeit erinnern. Aber er hatte dasselbe schwarze Glas – und etwas genauso Unheimliches an sich wie der da.«
»Nun ja, das ist nicht sehr erhellend«, sagte Jillie Djinn, »denn bis zu einem gewissen Grad – je nachdem, wie empfänglich wir für solche Erscheinungen sind, die offensichtlich sein können oder auch nicht – wird ein Spiegel stets unsere eigenen Erwartungen widerspiegeln.«
Jenna bekam eine Ahnung davon, wie sich Wolfsjunge vorher gefühlt hatte. »Sie tun was?«
»Wir sehen, was wir erwarten zu sehen«, sagte Jillie Djinn energisch.
»Ach.«
Die Schreiberin setzte sich an den Tisch, zog eine Schublade auf und entnahm ihr ein großes, ledergebundenes Notizbuch, ein Bündel Papiere, die mit Zahlenreihen vollgeschrieben waren, eine Schreibfeder und ein kleines Fass mit grüner Tinte. »Danke, Jenna«, sagte sie, ohne aufzuschauen. »Ich glaube, ich habe jetzt genug Informationen. Ich mache mich gleich an die Arbeit.«
Jenna wartete geduldig ein paar Minuten und länger, doch als die Schreiberin keine Anstalten machte, die Feder wieder wegzulegen, fragte sie: »Dann ... dann kommt Septimus also hierher zurück?«
Die Obermagieschreiberin hob den Kopf, in Gedanken bereits in einer anderen Welt, in der Welt der Berechnungen und Konjunktionen.
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