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Septimus Heap 03 - Physic

Titel: Septimus Heap 03 - Physic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angie Sage
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hatte. Jetzt saß er trübselig und zitternd neben einer Kugel am Fuß des Großen Schornsteins und tat sich selber leid.
    Marcellus wusste, dass es Vormittag war, weil er letzte Nacht draußen unter dem Burggraben einer seiner nächtlichen Spaziergänge unternommen hatte. Heutzutage brauchte Marcellus nur etwa alle zehn Minuten einmal Luft zu holen, und es kostete ihn keine besonders große Mühe, auch mal dreißig Minuten lang überhaupt nicht zu atmen. Er genoss das Gefühl der Schwerelosigkeit unter Wasser. Es linderte für eine Weile die furchtbaren Schmerzen in seinen morschen alten Knochen. Er watete gern durch den weichen Schlamm und las die Goldmünzen auf, die Menschen in den Burggraben warfen, weil es angeblich Glück brachte.
    Nach seiner Rückkehr, bei der er sich durch einen längst vergessenen Kontrollschacht hatte zwängen müssen, hatte er eine lange Kerze zur Hand genommen, in bestimmten Abständen Kerben hineingeschnitten, um die Stunden zu markieren, und in die vierte Kerbe von oben einen Stift als »Wecker« gesteckt. Nicht weil er fürchtete, er könnte einschlafen – Marcellus Pye schlief nicht mehr, ja, er konnte sich gar nicht erinnern, wann er das letzte Mal geschlafen hatte. Nein, sondern weil er fürchtete, er könnte die Festgesetzte Stunde vergessen, und er hatte seiner Mutter hoch und heilig versprochen, dass er sie nicht vergessen würde. Bei dem Gedanken an seine Mutter verzog er das Gesicht, als hätte er gerade versehentlich in einen fauligen Apfel gebissen, in dem ein fetter Wurm saß. Er schauderte und wickelte sich noch fester in seinen zerschlissenen Umhang. Er stellte die Kerze in ein Glas und setzte sich auf die kalte Steinbank unter dem Großen Schornstein. Und während er zusah, wie die Kerze herunterbrannte, gingen ihm wie üblich und ohne jeden Sinn und Zweck alte alchimistische Formeln durch den Kopf.
    Über ihm ragte der Große Schornstein wie eine Säule der Finsternis empor. Ein kalter Wind wirbelte durch sein Inneres und heulte auf dieselbe Weise, wie die Kreaturen in seinen Glasgefäßen früher immer geheult hatten, wenn sie heraus wollten – jetzt wusste er, wie ihnen zumute gewesen war. Während die Kerze gleichmäßig herunterbrannte, warf er von Zeit zu Zeit einen ungeduldigen Blick auf den Stift und spähte dann in den schwarzen Schlot hinauf. Als die Flamme sich dem Stift näherte, wippte er nervös mit dem Fuß und kaute nach alter Gewohnheit an den Fingernägeln, ließ es aber gleich wieder sein, denn sie schmeckten ekelhaft.
    Um sich die Zeit zu vertreiben und von der bevorstehenden Aufgabe abzulenken, dachte Marcellus an seinen Streich von letzter Nacht. Es war viele Jahre her, dass er hinaus an die frische Luft gegangen war, und es hatte ihm gar nicht so schlecht gefallen. Es war bewölkt und dunkel, und ein wohliger Nebel dämpfte alle Geräusche. Er saß eine Weile an der Schlangenhelling und wartete, aber seine Mutter hatte sich wohl geirrt. Es kam niemand. Aber das störte ihn nicht sonderlich, denn er mochte die Helling. Sie barg Erinnerungen an die Zeit, als er dort gewohnt hatte, neben dem Haus, in dem jetzt diese albernen Schaufelboote lagen. Er saß auf seinem alten Platz am Wasser und vergewisserte sich, dass seine alten Goldsteine noch da waren. Es tat gut, wieder mal Gold zu sehen, obwohl sie von Schlamm bedeckt und arg verkratzt waren, vermutlich von diesen blöden Booten. Marcellus runzelte die Stirn. Als junger Mann hatte er ein Boot besessen, aber ein richtiges. Der Fluss war damals noch tief und nicht so verschlammt und träge wie heute. Gewiss, die Strömung war reißend und tückisch, aber in jenen Tagen waren die Boote noch groß und hatten lange, schwere Kiele, große Segel und schönes Holzwerk, golden und silbern bemalt. Ja, dachte er, damals waren Boote noch Boote. Und es schien immer die Sonne. Er seufzte und streckte die Hände aus, betrachtete angewidert seine schrumpligen Finger, deren pergamentartige Haut sich fest und durchscheinend über jede Erhöhung und Vertiefung der alten Knochen spannte, und seine dicken gelben Fingernägel, die zu schneiden er nicht mehr die Kraft hatte. Wieder verzog er das Gesicht. Er war durch und durch abstoßend. Gab es denn keine Erlösung für ihn? Eine hoffnungsvolle Erinnerung kam ihm und entschlüpfte ihm im nächsten Augenblick wieder. Das überraschte ihn nicht – mittlerweile vergaß er alles.
    Ein helles Pling ertönte, als der Stift von der brennenden Kerze in das Glas fiel. Müde

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