Septimus Heap 03 - Physic
hielt es für ratsamer, vorläufig nichts zu sagen. Sie spürte, dass der Wächter mit dem Rattengesicht sie anstarrte. Sie schaute zu ihm auf und bemerkte einen panischen Ausdruck in seinen Augen.
»Lass von ihr ab, Will. Siehest du denn nicht, dass sie das Gewand einer Prinzessin traget?«
Der andere beguckte sich Jenna jetzt so genau, dass seine Schweinsäuglein zwischen den Fettwülsten in seinem Gesicht zu schmalen Schlitzen wurden. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn, und wie vom Blitz getroffen ließ er Jenna los. »Warum hast du denn nichts gesaget?«, zischte er zornig das Rattengesicht an.
»Ei nun, das hab ich doch. Würdest du nicht ohn Unterlass von Nierchen, Eintöpfen und Soßen schwafeln, bis sich einem der Magen umdreht und die Galle hochkömmt, hättest du’s mit deinen mickrig Äuglein selbst gesehen.«
Jenna schwirrte der Kopf. Wovon redeten sie? Sie hatte etwas von königlicher Prinzessin gehört und das unangenehme Gefühl, dass man sie erkannt hatte. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, wurde sie wieder fest am Arm gepackt, freilich respektvoll diesmal, und den Korridor entlanggeführt.
Sie lauschte dem aufgeregten Gespräch der Wächter, schnappte ein paar Worte auf und versuchte, daraus schlau zu werden.
»Das wird uns gewisslich eine Belohnung eintragen, Will. Wir haben unsere verschwundene Prinzessin funden, das wird Staunen wecken.«
»Wie wahr, John. Und welch Freude für die Königin, mit ihrer Tochter, die sie ertrunken geglaubt, wieder vereinet zu seyn. So der Himmel will, sehen wir noch einmal ein königliches Lächeln.«
»So der Himmel will. Obgleich ich mich, offen gestanden, frag, ob wir je ein königlich Lächeln gesehen, Will.«
Will grunzte zustimmend, und Jenna wurde höflich gebeten, doch bitte die Treppe in jenem Teil des Palastes zu erklimmen, »der sich ihrer königlichen Person eher ziemet«.
Bald kamen sie im Langgang heraus, und erst dort wurde es Jenna zur endgültigen Gewissheit: Der Spiegel hatte sie nicht nur in den Palast zurückgebracht, sondern auch in die Vergangenheit befördert. Der Langgang war genau so, wie Sir Hereward ihn einmal an einem besonders redseligen Abend geschildert hatte. Er barg viele alte Schätze, aber nicht die fremdartigen, exotischen Fundstücke, die Milo Banda dort aufgestellt hatte, sondern eine lange Galerie von Kunstwerken, die wirklich in den Palast gehörten und seine Geschichte erzählten. Darunter waren schöne Wandteppiche, meisterliche Gemälde von Prinzessinnen und ihren Kindermädchen, Palasthunden, durchreisenden Zauberern und Wahrsagern und sogar die großartige Bronzestatue eines seltenen blauen Drachen, dessen Blick Jenna an Feuerspei erinnerte.
Der Palast war nicht so ruhig und beschaulich, wie Jenna ihn kannte, sondern von geschäftigem Treiben erfüllt. Der Trubel im Langgang erinnerte sie an die Stoßzeiten in den Anwanden. Hunderte von Palastdienern – alle in tadellosen Palastlivreen, bestehend aus einem grauen Kittel oder Kleid mit dunkelrotem Saum – eilten geschäftig hin und her. Einige trugen Tabletts mit kleinen, zugedeckten Silberschüsseln darauf, andere Stapel von Dokumenten, wieder andere Kuriertaschen in Form kleiner roter Ordner, auf die das Palastwappen in Gold gestempelt war. Doch das Merkwürdigste war, dass ein ständiges Gebimmel die Luft erfüllte. Vor jedem Raum hing nämlich eine kleine Glocke, die nur darauf wartete, dass ein höhergestellter Dienstbote sie läutete, um einen rangniederen Dienstboten zu rufen, damit der seine Befehle ausführte. Die Glocken läuteten immerzu, und im Allgemeinen bestand der einzige Effekt darin, dass die nächsten Dienstboten vorbeieilten und so taten, als hätten sie nichts gehört.
Die Wächter kamen mit Jenna nur langsam voran. Jeder Entgegenkommende erkannte das Mädchen, das zwischen ihnen ging, und blieb überrascht stehen, sodass andere auf ihn aufliefen. Manche hielten vor Schreck den Atem an, andere machten einen Knicks oder eine Verbeugung, und viele lächelten und beschleunigten ihre Schritte, denn sie wollten unbedingt als erste die Neuigkeit verbreiten, dass die ertrunkene Prinzessin wieder da sei.
So dauerte es noch geraume Zeit, bis die Wächter ihr Ziel, den Thronsaal, erreicht hatten. Der Thronsaal war der einzige Raum im Palast, den Jenna niemals betreten hatte und auch niemals betreten wollte, denn dort waren ihre Mutter und Alther ermordet worden, und auch sie selbst hätte dort beinahe ihr Leben verloren, wenn Marcia
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