Septimus Heap 04 - Queste
unsicher seinen Weg fort, schwebte wacklig über den Hof und die Treppe zum Zaubererturm hinauf. Die silberne Tür schwang auf, helles Licht flutete aus der Großen Halle, ergoss sich über die weißen Marmorstufen, und ein vielstimmiger Ruf des Erstaunens drang aus dem Innern des Turms. Dann beobachtete Merrin, wie sich die Tür langsam wieder schloss, und er lächelte – er wollte jetzt nicht in Septimus Heaps Haut stecken. Um nichts in der Welt.
Seine Hand umschloss den kleinen Beutel mit Geldstücken in seiner Tasche – der Vorschuss für seine erste Woche im Manuskriptorium. Seine Laune wurde etwas besser. Mit dem Geld konnte er sich bei Mutter Custard neununddreißig Lakritzschlangen kaufen. Der Gedanke an Mutter Custards freundlichen Süßwarenladen und die Erinnerung an Mutter Custards gütiges Lächeln, als sie zusah, wie er sich die allererste Süßigkeit seines Leben aussuchte, stimmten ihn fröhlich. Warum bleiben, wo er nicht erwünscht war?
Aber Tertius Fume den Gehorsam vollständig zu verweigern, dazu fehlte ihm dann doch der Mut, und so hob er mit einer gewaltigen Anstrengung die Urne hoch und schleppte sie die Marmortreppe hinauf. Als er zitternd auf der obersten Stufe ankam und sich fragte, wie er die Urne absetzen konnte, ohne dass sie auf seinen Zehen landete, traten zwei große Gestalten in Kettenpanzern aus dem Schatten zu beiden Seiten der Tür. Sie zückten gleichzeitig einen Dolch, machten noch einen Schritt auf ihn zu und hielten ihm ihren Klingen an die Kehle. Vor Entsetzen vergaß Merrin jede Sorge um seine Zehen. Mit einem lauten Bums ließ er die Urne fallen und rannte davon. Die Questenwächter traten zurück und verschmolzen wieder mit dem Schatten.
Merrin blickte sich nicht um. Er sprang die Stufen hinunter und raste über den Hof unter den Großen Bogen. Dort blieb er stehen und zog etwas aus der Tasche, das wie ein schmutziger alter Tennisball aussah.
»Spürnase«, sagte er zu dem Tennisball, »zeig mir den schnellsten Weg zu Mutter Custards Laden.« Der Fährtensucherball hüpfte ein paarmal auf der Stelle, als überlege er, dann schoss er davon, bog scharf links in die Langfingergasse und gleich darauf rechts in den Miefweg ab. Bis zu Mutter Custards Laden waren es fünf Kilometer, aber das machte Merrin nichts aus. Er folgte dem Ball durch Tunnel, die mit Binsenlichtern beleuchtet waren, über große Backsteinbrücken und durch zahllose Gärten, und dann, mit seinen Kräften am Ende, verlor er ihn in einer schmalen dunklen Gasse aus den Augen. Aber er hatte Glück. Die Gasse führte schnurstracks auf den Süßwarenladen zu, und als er keuchend und schnaufend dort ankam, wurde er von einem auf der Stelle hüpfenden Spürnase bereits ungeduldig erwartet.
Merrin griff sich den Ball, steckte ihn in die Tasche und trottete schwerfällig in den Laden. Er würde eine ganze Wagenladung Lakritzschlangen brauchen, um sich von dem Schreck zu erholen, der ihm beim Anblick seines alten Meisters in die Glieder gefahren war. Und vielleicht noch ein paar Kaugummischnecken. Und Zuckerspinnen – jede Menge Zuckerspinnen.
* 25 *
25. Belagerung
D e r Geist DomDaniels amüsierte sich prächtig. Es war lange her, dass er etwas Interessantes erlebt hatte. Der Verlust des doppelgesichtigen Rings hatte eine Art Schwebezustand beendet, in dem er und sein Geist sich nach seiner Niederlage gegen Marcia befunden hatten. Der Ruf zu der Versammlung war so stark gewesen, dass sein Geist endlich freigesetzt worden war. Er war vielleicht noch etwas zittrig, aber endlich draußen in der Welt.
DomDaniel genoss besonders das Aufsehen, das sein Erscheinen im Zaubererturm erregte. Das Gesicht, das diese grässliche Frau machte ... wie hieß sie noch gleich? Schrulla Overland? Tusnelda Underhand? Allein dafür hatte sich die Warterei gelohnt. Und es war schön, den alten Fume wiederzusehen. Auch ein paar andere kamen ihm bekannt vor, zum Beispiel dieser schmuddlige Junge mit dem Drachenring – ein Lehrling, nach dem Aussehen zu urteilen. Den hatte er schon mal gesehen ... irgendwo ... wie hieß er noch gleich? Ach, sein Gedächtnis war schrecklich. Alles ausgelöscht von dieser ... Dingsda. Wie gemein das war. Aber was war das? Rief da nicht jemand seinen Namen?
Marcia Overstrand rief in der Tat DomDaniels Namen. »DomDaniel ... das darf doch nicht wahr sein! Ich kann es nicht glauben. Das ist doch völlig unmöglich.«
Tertius Fume frohlockte. »Und ob das möglich ist, Miss Overstrand. Damit wäre
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