Septimus Heap 06 - Darke
Gefühl hatte, den Kontakt zu seinen eigenen Gedanken zu verlieren, ja sogar zu dem, was er war – zu sich selbst. Eine tiefe, dumpfe Angst sickerte in ihn ein, eine Angst, die nicht einmal der Gedanke an Nicko fernhalten konnte. Aber Septimus kämpfte sich weiter. Entweder kämpfen, so sagte er sich, oder sich hinsetzen und ebenfalls ein Haufen Knochen werden.
Schließlich tauchte wieder ein Portikus vor ihm auf. Im Näherkommen keimte erneut ein kleiner Funken Hoffnung in ihm auf. Bestimmt war das der Eingang zum Vorzimmer – er passte zu der Beschreibung. Septimus ging schneller, doch als er nicht mehr weit entfernt war, machte er eine Entdeckung, die ihn ganz nahe an den Rand der Verzweiflung brachte. Neben der Lapislazulisäule lehnte ein kleines Skelett an der Wand.
Wie angewurzelt blieb Septimus stehen. Übelkeit überkam ihn. Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Gerippe neben zwei völlig gleich aussehenden Durchgängen saßen? Er trat langsam näher, bis er vor dem Skelett stand. Es war klein, zerbrechlich, und sein Schädel nickte keck in Richtung Säulen. Septimus zwang sich, seine linke Hand anzusehen. Am kleinen Finger steckte ein billiger Messingring mit einem roten Stein.
Septimus sank zu Boden – er war im Kreis gelaufen. Er lehnte sich gegen den kalten Lapislazuli und stierte verzweifelt in die Dunkelheit. Simon hatte ihn getäuscht. Marcellus war ein Narr. Er würde das Verlies Nummer Eins niemals finden. Er würde Alther niemals finden. Er würde für immer hier unten bleiben müssen, und eines Tages würde ein bedauernswerter Reisender zwei Gerippe vorfinden, die neben dem Bogen an der Wand lehnten. Jetzt verstand er, warum das Gerippe hier saß. Sein Besitzer war ebenfalls im Kreis gelaufen – wie viele Male? Septimus schaute auf und stellte fest, dass er dem Totenkopf Auge in Auge gegenübersaß. Sein Gebiss schien ihn verschwörerisch anzulächeln, die leeren Augenhöhlen zu zwinkern, aber nach der Ödnis der leeren Räume war das Gerippe für ihn wie ein Gefährte.
»Tut mir leid, dass ich es nicht geschafft habe«, sagte er zu dem Gerippe.
»Niemand schafft es allein«, kam flüsternd eine Antwort.
Septimus glaubte, seine eigenen Gedanken zu hören. Das war kein gutes Zeichen. Und dennoch fragte er, nur um den Klang einer menschlichen Stimme zu hören: »Wer ist da?«
Er meinte, eine leise Antwort zu hören, die mit dem Heulen des Windes verschmolz. »Ich.«
»Ich«, murmelte Septimus vor sich hin. »Ich höre mich selbst.«
»Nein. Du hörst mich«, sagte das Flüstern.
Septimus sah den Totenkopf neben sich an, und der Totenkopf erwiderte spöttisch seinen Blick.
»Bist du das?«
»Ich war es«, lautete die Antwort. »Jetzt nicht mehr. Jetzt ist es ein Gerippe. Ich bin das.«
Und nun musste Septimus zum ersten Mal, seit er die Annie verlassen hatte, lächeln. Eine kleine Gestalt erschien vor ihm – der Geist eines Mädchens, das nach seiner Schätzung nicht älter als zehn war. Es sah aus wie eine Miniaturausgabe von Jannit Maarten und war genauso drahtig und trug Jannits Arbeitskleidung im Kleinformat – einen derben Seemannskittel und abgeschnittene Hosen, dazu einen kleinen, festen Zopf, der ihr auf den Rücken baumelte. Septimus freute sich über ihren Anblick beinahe ebenso, wie er sich über Alther gefreut hätte.
»Siehst du mich jetzt?«, fragte sie und neigte den Kopf zur Seite, genau wie das Gerippe.
»Ja, ich sehe dich.«
»Und ich dich jetzt auch. Aber erst, seit du gesprochen hast. Du siehst... komisch aus.« Der Geist streckte ihm eine Hand hin, die, wie Septimus sehen konnte, früher sehr schmutzig gewesen sein musste. »Du musst aufstehen. Wenn du jetzt nicht aufstehst, stehst du nie wieder auf. So wie ich. Los.«
Müde erhob sich Septimus.
Der Geist schaute aufgeregt zu ihm auf. »Du bist mein erster Lebender. Ich habe vom Ufer aus zugesehen. Ich habe gesehen, wie dich diese bösen Leute ausgesetzt haben. Ich habe gesehen, wie es dich hineingezogen hat.« Sie plapperte drauflos wie ein lebendiges Mädchen, das Nachholbedarf hatte. »Ich bin dir gefolgt.« Sie sah seinen fragenden Blick. »Ja, durch den Strudel. Es war für mich nicht das erste Mal.«
Septimus hatte das Gefühl, dass er seine Gefährten an Bord der Annie verteidigen musste. »Sie haben mich nicht ausgesetzt. Ich bin freiwillig hier, denn ich muss einen Geist finden. Sein Name ist Alther Mella. Er trägt das Gewand eines Außergewöhnlichen Zauberers mit einem Blutfleck
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