Septimus Heap 06 - Darke
Tor zu gehen und auf der anderen Seite Alther zu finden.
Im Näherkommen bemerkte er am Fuß des Portikus etwas Weißes, und als er nur noch wenige Schritte davon entfernt war, erkannte er, was es war. Ein Gerippe. Blank und vollständig weiß, bis auf einen schmalen Messingring mit einem roten Stein am kleinen Finger der linken Hand. Es saß an die Wand gelehnt und hatte den Schädel keck zur Seite geneigt, als weise es den Weg durch die Säulen.
Septimus blieb neben dem Skelett stehen, denn er hatte das Gefühl, dass es nicht recht wäre, achtlos vorüberzugehen. Es war ein kleiner Mensch gewesen, wahrscheinlich nicht größer als er selbst noch vor einem Jahr. Das Gerippe bot einen traurigen, verlorenen Anblick, und Septimus empfand Mitleid. Wer immer es gewesen sein mochte, irgendwie hatte er den Sturz in den Bodenlosen Strudel überlebt, nur um dann in einer verwunschenen, eisigen Wüste zugrunde zu gehen.
Plötzlich fegte ein Windstoß durch den Portikus, und selbst durch den Dunkelschleier spürte Septimus die Kälte. Ein Schauder überlief ihn, und er beschloss, weiterzugehen und in das Vorzimmer zu Verlies Nummer Eins zu treten. Es war an der Zeit, Alther zu suchen und das zu tun, weswegen er hier war. Er nickte dem Gerippe respektvoll zu und schritt durch den Portikus.
Das Vorzimmer zu Verlies Nummer Eins war anders, als er es erwartet hatte. Vielmehr schien es ein ebenso leerer Raum zu sein wie der, den er eben durchwandert hatte. Und keine Spur von Alther – oder irgendeinem anderen Geist. Nach den schriftlichen Quellen weilten nirgendwo auf der Welt mehr Geister als hier, hauptsächlich die Geister all derer, die im Laufe der Jahrhunderte in das Verlies Nummer Eins geworfen worden waren. Verlies Nummer Eins war vor allem deshalb so gefürchtet, weil diejenigen, die darin umkamen, später nie als Geister gesehen wurden. Sie alle waren Gefangene der Finsterhallen und mussten ihr gesamtes Geisterdasein unter der Erde verbringen, ohne jede Hoffnung auf ein Wiedersehen mit den Menschen und Orten, die sie einst geliebt hatten. Und verständlicherweise zogen es viele vor, in der Gesellschaft anderer Geister zu bleiben, als durch die »endlosen Jammerpaläste« zu streifen.
Das Vorzimmer zu Verlies Nummer Eins wurde als kreisrunder Raum beschrieben, ausgekleidet mit schwarzen Ziegeln, wie sie auch beim Bau des kleinen Kegels verwendet worden waren, der den oberirdischen Eingang zum Verlies markierte. Und wenn diese Beschreibungen zutrafen – wovon Septimus überzeugt war –, dann war er hier nie und nimmer im Vorzimmer zu Verlies Nummer Eins.
Er war der Verzweiflung nahe. Wenn er sich nicht im Vorzimmer befand, wo dann? Die Antwort war klar, er hatte sich verlaufen. Heillos verlaufen. Noch heilloser als in jener Nacht vor ein paar Jahren, als er sich mit Nicko im Wald verirrt hatte. Um nicht in Panik zu geraten, überlegte er, was Nicko in diesem Augenblick wohl vorschlagen würde. Nicko würde sagen, dass sie weitergehen müssten. Dass sie früher oder später auf das Verlies Nummer Eins stoßen müssten. Dass es nur einer Frage der Zeit wäre. Und so machte sich Septimus, Nicko in Gedanken mitnehmend, wieder auf den Weg in die Dunkelheit.
Gleich darauf wurde er mit dem Anblick dreier einfacher, viereckiger Türen belohnt, die in die glatte Felswand gesetzt waren. Er blieb stehen und überlegte, was er tun sollte. Er dachte an Simons Rat, und Marcellus Pyes Worte kamen ihm in den Sinn: Lehrling, ich bin fest davon überzeugt, dass wir ihm vertrauen können.
Septimus trat durch die linke Tür.
Ein weiterer leerer Raum und jammervolles Geheul erwarteten ihn. Er stellte sich vor, Nicko wäre an seiner Seite, und ging schnell weiter. Nicht lange, und er gelangte an zwei weitere Öffnungen wie den Portikus. Wieder nahm er die linke. Dieser Portikus führte in einen langen, gewundenen Gang, durch den ein übel riechender Wind wehte. Der Wind brüllte ihm ins Gesicht, schüttelte ihn, warf ihn gegen die Wand, aber Septimus ging unbeirrt weiter, und schließlich gelangte er aus dem Gang in einen weiteren leeren, höhlenartigen Raum. Wieder bog er nach links ab.
Eine weitere Stunde beschwerlichen Marschierens folgte. Mittlerweile hatte sich Septimus die Füße wund gelaufen und war müde, und obendrein hatte er den Eindruck, dass der Dunkelschleier sich abnutzte. Die Kälte drang ihm so tief unter die Haut, dass er gar nicht mehr aufhörte zu zittern. Und das Heulen wurde zeitweise so laut, dass er das
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