Septimus Heap 06 - Darke
verspreche ich Ihnen.«
Marcia schenkte ihm ein gequältes Lächeln. »Danke. Sie wissen, dass ich mich auf Sie verlasse?«
»Ich hätte nicht gedacht, dass ich das jemals aus Ihrem Mund hören würde!«, erwiderte Marcellus. »Es muss wirklich schlimm um uns stehen.«
»Allerdings«, sagte Marcia. »Marcellus, falls ... falls irgendetwas passieren sollte, gebe ich meinen Lehrling in Ihre Obhut. Leben Sie wohl.« Damit drehte sie sich um und verschwand im dunkelblauen Schatten unter dem Großen Bogen, der vom Geklapper ihrer Schuhe widerhallte.
Marcellus blieb noch eine Weile stehen und beobachtete etwas, was er bisher nur ein einziges Mal, nämlich in seinem ersten Leben als der bedeutendste Alchimist der Burg, gesehen hatte. In der Mitte des Großen Bogens senkte sich die Barrikade, eine dicke Platte aus altem, angefressenem Metall, lautlos von oben herab und verschloss den Hauptzugang zum Hof des Zaubererturms. Sie war, wie Marcellus wusste, der erste von mehreren Schutzschilden, die nun in Stellung gebracht wurden, um den Turm mit seinen stärksten und ältesten Zauberkräften zu verteidigen.
Als Nächstes kam der vierseitige Lebend-Schutzschild an die Reihe (er war der stärkste mögliche Schutzschild und trug die Bezeichnung »lebend«, weil er die Energie vieler Lebewesen in seinem Innern benötigte, um aktiv zu bleiben. Im äußersten Notfall konnte er auch selbstständig handeln). Wie die Barrikade war ein Lebend-Schutzschild äußerst selten. Marcellus beobachtete, wie er aus der Mauer, die den Turm umringte, langsam emporstieg, eine blau schimmernde Haut, die ein schauriges Licht auf die Zaubererallee warf.
Zufrieden, dass der Turm nun geschützt war – jedenfalls einstweilen –, eilte Marcellus davon und überließ die Zaubererallee ihrem Schicksal. Sein Mantel verschmolz mit den Schatten, als er in einer sehr schmalen Lücke zwischen zwei alten Häusern verschwand.
In seinen Tagen als Burgalchimist waren solche Lücken unter dem Namen Schlüfte bekannt gewesen. Sie stammten aus der Frühzeit der Burg, als die Häuser zwischen Zaubererallee und Burggraben errichtet worden waren. Um die Ausbreitung von Feuersbrünsten zu erschweren, hatte man die Häuser in Zweier- oder Dreierblöcken gebaut und zwischen den Blöcken jeweils eine Lücke gelassen, die so schmal war, dass sich ein Bertie Bott nie und nimmer hätte hindurchzwängen können. Doch Marcellus schlüpfte durch die Schlüfte wie eine Schlange durch ein Rohr und lief eilig zu jenem Ort, an dem er Septimus vermutete. Er konnte nur hoffen, dass der Außergewöhnliche Lehrling dort war. Es war seine letzte Chance, Septimus zu finden, ehe der schwarze Nebel alles verschlang.
* 30 *
30. Im Drachenhaus
J e nna ging langsam über den Steg zurück zu dem überwucherten Uferweg. Sie sah das lila Licht des Sicherheitsvorhangs den Himmel erhellen und wusste, dass der Zauber den Palast von der Außenwelt abschnitt – mitsamt ihrer Mutter darin. Sie schob die Hände tief in die Taschen und spürte das glatte Messing des Schlüssels, den ihr Silas gegeben hatte. Sie seufzte. Sie wollte die Nacht nicht allein in ihrer alten Wohnung verbringen. Sie wollte bei Septimus sein, und wenn Septimus nicht da war, war die zweitbeste Lösung sein Drache. Sie folgte dem Weg am Fluss entlang und stapfte durch das hohe, schneebedeckte Gras, bis sie schließlich an ein großes Tor gelangte. Dort war ein derbes und leicht verkohltes Holzschild angenagelt, auf dem stand:
DRACHENWIESE
BETRETEN AUF EIGENE GEFAAR
FÜR ETWAIGE SCHÄDEN, VORHERSEBARE ODER SONSTIGE,
WIRD KEINERLEI HAFTUNG ÜBERNOMMEN
GEZ.: BILLY POT (MR.)
AMDLICHER DRACHENHÜTER
Jenna musste schmunzeln. Das Schild war tatsächlich angesengt, und Billys Rechtschreibung war ungewöhnlich gut. Sie öffnete das Tor und trat ein. Am anderen Ende der Wiese konnte sie die Umrisse des lang gestreckten, flachen Drachenhauses ausmachen, das sich dunkel gegen das lila Licht abhob. Vorsichtig mehrere verdächtig riechende Haufen im Gras umkurvend, steuerte sie auf das Drachenhaus zu. Mit einem Drachen zu reden war manchmal das einzig Vernünftige.
Nun, da Feuerspei nicht mehr unwillkommener Gast im Hof des Zaubererturms war, sondern Herr über eine eigene Wiese, blieb sein Drachenhaus die ganze Nacht offen. Als Sarah Heap dagegen Einwände erhoben hatte, hatte ihr Billy Pot ungehalten entgegnet: »Mister Feuerspei ist ein Gentleman, Madam Heap, und einen Gentleman sperrt man über Nacht nicht ein.« Der
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