Septimus Heap - Fyre
in sein Ohr sprechen konnte.
»Feuerspei. Die Drachin ist sehr krank. Sie könnte sogar sterben. Wenn du hierbleiben willst, musst du mucksmäuschenstill sein. Du darfst dich nicht rühren. Kein Geklopfe mit dem Schwanz, kein Gescharre mit den Krallen, kein Gefauche, kein Gar-Nichts. Hast du verstanden?«
Feuerspei blinzelte zweimal zustimmend. Dann legte er sich aufs Eis und ließ traurig den Kopf auf die Mauer sinken: Ein sterbender Drache war etwas Furchtbares. Septimus tätschelte ihm den Hals, beobachtet von einer nervösen Großmutter und ihrem aufgeregten Enkel, und ließ Feuerspei dann allein.
Jennas Ruf »Es ist tot« hallte noch in seinem Kopf wider, als er die schmale Steintreppe, die zum gegenüberliegenden Ufer des Cut führte, hinunterflitzte. Unten angekommen, lief er am Fuß der Mauer entlang in Richtung Drachenhaus. Ein schwacher Lufthauch und eine leichte Kühle verrieten ihm, dass er sich durch eine dichte Schar von Geistern bewegte. Und aus der verhaltenen, irgendwie vornehmen Atmosphäre schloss er, dass es sich bei den Geistern um ehemalige Königinnen und Prinzessinnen handelte, die nervös zuschauten.
Septimus drosselte seine Schritte und ging langsam zum Eingang des Drachenhauses. Jetzt sah er, was Feuerspeis Feuerstoß freigelegt hatte. Es war schaurig und schön zugleich. Das Drachenboot, ganz weiß im kräftigen Lapislazuli des Drachenhauses, lag völlig regungslos da, umhüllt von einer dünnen Eisschicht. Ein Strahl der Wintersonne fiel herein und ließ das Eis so lebhaft funkeln, dass Septimus meinte, das Drachenboot atme und alles sei gut. Aber die sorgenvollen Gesichter von Marcellus Pye und Jenna – und sogar von Jannit Maarten – auf der anderen Seite des Cut belehrten ihn eines Besseren.
Septimus huschte über den noch intakten Teil der Eisdecke auf die Werftseite des Cut und folgte Marcellus und Jenna ins Drachenhaus. Die Luft darin erinnerte ihn an die Eistunnel – abgestanden, fremdartig und kalt. Er ging den vereisten Marmorweg entlang und trat neben Jenna und Marcellus, die auf den Kopf das Drachenboots hinabschauten.
Der Kopf der Drachin lag auf einem Teppich, der über den Marmor gebreitet war. Die schwanenartige Krümmung des Halses, das schöne Muster der Schuppen, die komplizierten Umrisse des Kopfes, dies alles war durch die Eisschicht zu sehen, wie bei einer meisterhaft gemeißelten Statue. Tatsächlich schien es Septimus, als habe sich die Drachin in Marmor verwandelt, so kalt und steinern sah sie aus.
Marcellus nickte Septimus zu. »Ich habe Jenna gerade erklärt, dass Drachen Reptilien sind. Ihr Blut kühlt zwar ab, gefriert aber nicht. Daher können sie in tiefe Bewusstlosigkeit fallen und dennoch wieder ins Leben zurückkehren. Manche behaupten sogar, Drachenblut besitze die Eigenschaft ewiger Wärme. Was ich damit sagen will: Es ist gut, dass das Boot mit Eis bedeckt ist.«
Septimus leuchtete das ein, aber Jenna war noch nicht überzeugt, wie er ihr vom Gesicht ablas.
»So«, sagte Marcellus, »sollen wir an Bord gehen?«
»An Bord?« Der Gedanke, das Drachenboot zu betreten, war Jenna äußerst unangenehm. Es kam ihr respektlos vor – wie über ein Grab zu gehen.
»Selbstverständlich. Das ist es, was wir tun müssen. Oder vielmehr, was Sie tun müssen, Prinzessin.«
»Ich?«
»Königinnen sind ihm verbunden. Und haben, soweit ich weiß, auch ein Fläschchen Wiederbeleber.«
»Oh!« Jenna zog die kleine blaue Flasche aus der Tasche. Auf dem braunen Etikett stand Tx3 Wiederbeleber. »Dann kann ich ihn auch ohne die Tripel-Schalen anwenden?«
»Selbstverständlich. Der Wiederbeleber lässt sich auf viele Arten anwenden.«
»Und was soll ich tun? Dem Drachen damit die Nase beträufeln? Oder etwas anderes?«
»Etwas anderes«, antwortete Marcellus. Ganz vorsichtig setzte er den Fuß an Deck des Drachenboots und streckte Jenna die Hand hin, die sie ergriff und behutsam neben ihn trat. Septimus folgte. Beinahe ehrfürchtig schritt Marcellus zur Mitte des Decks, wo er vor zwei kleinen Türen stehen blieb, die in eine verschlossene Kajüte führten. Niemand hatte die Türen zu öffnen vermocht. Als Jannit das Boot reparierte, war es ihr nicht ganz geheuer gewesen, dass sie diesen Teil nicht betreten konnte. Zumal sie manchmal etwas darin zu hören glaubte.
Marcellus kniete vor den Türen nieder, die durch das Eis verschwommen zu sehen waren. Er wickelte seinen schwarzen Samtschal ab und rieb das Eis sanft damit, bis der Raureif verschwunden war.
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