Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)
Moment zurück, nachdem Imlann weggeflogen war. Einen Augenblick lang – ein Augenblick, um den meine störrischen Gedanken immer wieder kreisten – hatte Kiggs mich geliebt. Ich war mir ganz sicher. Ein flüchtiger Augenblick war weit mehr, als ich mir je zu erhoffen gewagt hatte, und viel zu wenig, als dass ich mich damit begnügen konnte. Ich hätte niemals so weit gehen dürfen. Zu wissen, was ich nie bekommen würde, machte alles nur noch schlimmer.
Ich schlug die Augen auf. Die Wolken waren aufgerissen, der Mond funkelte über den verschneiten Dächern der Stadt. Der Anblick war wunderschön und vertiefte zugleich meinen Kummer. Wie konnte die Welt so schön sein, wenn ich doch so abstoßend war? Ich schob meinen Ärmel hoch und löste vorsichtig das Band, das den Bund meines Unterhemds zusammenhielt, schob auch diesen Ärmel hoch und streckte meine Schuppen der Nacht entgegen.
Der Mond schien hell genug, sodass ich jede einzelne in dem schmalen, gewundenen Band erkennen konnte. Im Vergleich zu den Schuppen eines richtigen Drachen waren sie klein, jede nur etwa fingernagelgroß mit harten, scharfen Kanten.
Hass fraß an meinen Eingeweiden. Ich wollte die Schuppen nicht mehr spüren. Wie ein Fuchs in der Falle hätte ich mir lieber ein Bein abgebissen, als es noch länger zu ertragen. Ich zog meinen kleinen Dolch aus dem Mantelsaum und stach mir in den Arm.
Der Dolch prallte ab, ritzte nur die zarte Haut unter den Schuppen. Ich presste die Lippen zusammen, um einen Schrei zu ersticken, aber mein stumpfes Messer hatte nicht in die Haut geschnitten. Ich versuchte es erneut, diesmal fuhr ich seitlich mit der Klinge unter die Schuppen, was gar nicht so einfach war, denn die Klinge rutschte ab und schlug Funken. Man hätte ein Feuer damit entzünden können. Ja, ich hätte am liebsten die ganze Welt niedergebrannt.
Nein. Ich würde das Feuer am liebsten löschen. Ich konnte nicht mehr weiterleben, wenn ich mich so sehr hasste.
Eine entsetzliche Idee überzog meine Gedanken wie Eiskristalle eine Fensterscheibe. Ich winkelte meinen Ellbogen ab, damit sich die Schuppen aufstellten. Dann fuhr ich mit der Messerspitze unter eine von ihnen.
Was, wenn ich sie alle wegrisse? Würden sie nachwachsen? Und wenn mein Arm danach vernarbt wäre – könnte das wirklich schlimmer sein als jetzt?
Ich drückte die Schuppe hoch. Sie bewegte sich kaum. Ich schob das Messer langsam tiefer, hin und her, als würde ich eine Zwiebel schälen. Es tat weh, und dennoch … ich spürte, wie eine eiskalte Welle über mein Herz schwappte und die brennende Scham auslöschte. Ich biss die Zähne aufeinander und drückte fester. Eine Ecke ließ sich anheben. Ich krümmte mich vor Schmerz, sog die kalte Luft gierig zwischen den Zähnen ein. Ich spürte die Eiseskälte überall in mir, sie verschaffte mir Erleichterung. Wenn mein Arm so wehtat, dann war ich nicht imstande zu hassen. Ich machte die Augen fest zu und machte einen letzten Ruck.
Mein Schrei hallte in dem winzigen Raum wider. Ich umklammerte meinen Arm und schluchzte. Dunkles Blut quoll aus der Wunde und die Schuppe funkelte auf der Spitze des Messers. Ich schnippte sie in die Abfallgrube. Sie glitzerte noch im Fallen.
Es war unmöglich. An meinem Arm hatte ich fast zweihundert Schuppen. Das brächte ich nie und nimmer fertig. Es war, als risse ich mir die Fingernägel aus.
Orma hatte mir einmal erzählt, dass vor vielen hundert Jahren, als die Drachen gelernt hatten, wie man menschliche Gestalt annimmt, sich einige selbst verletzt hatten, mit den Zähnen ihr eigenes Fleisch aus dem Leibe gerissen hatten, überwältigt von der Wucht menschlicher Gefühle. Sie wollten lieber körperliche Schmerzen ertragen als seelischen Kummer. Dies war einer von vielen Gründen, warum die Drachen seither ihre menschlichen Gefühle zu unterdrücken suchten.
Wenn ich das doch nur auch tun könnte. Bei mir klappte es einfach nicht; ich konnte mir die Gefühle höchstens für später aufsparen.
Als Antwort auf meinen Schrei hämmerten die Soldaten an die Tür. Wie lange war ich schon hier? Die Kälte hatte mich ganz im Griff; zitternd steckte ich das Messer wieder zurück und wischte das Blut mit meinem Unterhemd ab. Ich nahm so gut es ging Haltung an und öffnete die Tür.
Der Wachmann sah mich durch sein Helmvisier finster an. »Königin Lavonda und Ardmagar Comonot sind jetzt wach und erwarten dich«, blaffte er. »Sankt Masha und Sankt Daan, was hast du dort drinnen überhaupt
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