Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)
recht damit, aber es war zu spät. Wieder blickte ich zum Himmel, wo mein Onkel in großer Bedrängnis war. Falls er den Kampf überlebte, würde man ihn anschließend nach Tanamoot zurückschicken, um ihm seine Erinnerungen und Gefühle zurechtzustutzen. Das könnte ich nicht ertragen.
Imlann stieß auf ihn herab, doch diesmal kam Orma nicht so schnell wieder zu Kräften. Er fing an zu brennen, sackte in die Tiefe, prallte gegen die Wolfstoot-Brücke, brachte sie halb zum Einsturz und landete unsanft im Fluss. Eine Dampfwolke stieg von der Absturzstelle auf.
Entsetzt schlug ich die Hand vor den Mund. Imlann sauste über den Himmel, schrie und spuckte triumphierend Feuer, der Schein der aufgegangenen Sonne ließ seine Haut schimmern.
Die Nacht des großen Fests war vorüber. Meist begrüßten wir Goreddis an diesem Tag das neue Morgenlicht mit dem Ruf: »Die Drachenkriege sind vorbei für alle Zeiten!« In diesem Jahr aber waren alle auf die Straße gelaufen, um den beiden Drachen zuzusehen, die über unseren Köpfen kämpften.
Ich hörte Schreie, aber diesmal waren es nicht die Stadtbewohner; es klang ganz anders und kam von oben. Die dunklen Punkte am südlichen Himmel, die ich für einen Vogelschwarm gehalten hatte, kamen schneller näher als jeder Vogel es vermocht hätte.
Eskar und die Kleine Arde kehrten zurück.
Imlann, mein Großvater mütterlicherseits, machte keine Anstalten zu fliehen und biss sich auch nicht in den Schwanz, zum Zeichen seiner Kapitulation. Nein, er flog direkt auf die Schar zu, spuckte Flammen und brüllte. Er wusste, er war dem sicheren Tode geweiht.
Er war abtrünnig gewesen, rücksichtslos und berechnend, so wie Lady Corongi. Er hatte die königliche Familie auslöschen wollen und seinen Ardmagar. Vielleicht war ihm soeben auch sein Sohn zum Opfer gefallen. Doch was er nun vorhatte, kam einem Selbstmord gleich. Als ich ihn in seiner ungezügelten Kampfeswut beobachtete und sah, wie er um sich schlug und schnappte, als wollte er den Himmel zerfetzen, spürte ich eine schreckliche Trauer in mir aufsteigen. Er war der Vater meiner Mutter. Mit ihrer Heirat hatte sie Imlanns Leben und auch ihr eigenes zugrunde gerichtet, aber war ihre Starrköpfigkeit von damals nicht vergleichbar mit seinem verzweifelten Angriff jetzt? Waren ihre Chancen nicht auch gleich null gewesen?
Eskar alleine konnte ihn nicht zu Fall bringen, erst mit vereinten Kräften steckten die Drachen ihn schließlich in Brand, aber auch dann noch hielt er sich länger in der Luft, als ich es jemals für möglich gehalten hätte. Als ihn Eskar schließlich enthauptete, war es eher ein Gnadentod als ein Sieg über ihn. Ich sah, wie der Körper meines Großvaters nach unten trudelte, hell wie eine Sternschnuppe, und ich weinte.
Als Rauch in der südlichen Stadt aufstieg, veränderte sich das Geläute, jetzt warnten die Glocken vor dem Feuer. Noch im Tod richtete Imlann großen Schaden an.
Ich kehrte zur Höhle zurück, meine Augen brannten, meine Hände und Füße waren schrecklich kalt und in meiner Brust verspürte ich eine entsetzliche Leere. Kiggs und Glisselda standen beisammen, beide beobachteten mich angespannt, auch wenn sie es nicht allzu deutlich zeigen wollten. Im Halbdunkel hinter ihnen stand Lars, den ich in der Aufregung ganz vergessen hatte. Er umklammerte seine Pfeifen so fest, dass seine Fingerknöchel weiß wurden.
»Fina«, fragte er, als ich ihn anblickte, »wo ist Abdo?«
Ich konnte ihm keine Hoffnung machen. Der Drache, an den sich Abdo festgeklammert hatte, war verbrannt und enthauptet worden. »Ich kann ihn jetzt nicht suchen, Lars«, sagte ich. Die Vorstellung, dass ich in meinen Gedanken die Hand nach Abdo ausstreckte und ins Leere griff, schreckte mich bis ins Mark.
»Kannst nikt oder willst nikt?«
»Ich will nicht!«
Lars funkelte mich finster an. »Du wirst! Das bist du ihm schuldik. Er hat mit Freuden alles für dik getan! Er hat es die Schlossmauer hinuntergeschafft, hat sik auf den Drachen geworfen, er hat alles getan, worum du ihn gebeten hast, und noch viel mehr. Suche ihn.«
»Was, wenn er nicht mehr da ist?«
»Dann musst du ihn im Himmel suchen. Finde ihn, egal wo.«
Ich nickte und stieg durch den Schnee zu Lars. Kiggs und Glisselda traten zur Seite, damit ich an ihnen vorbeigehen konnte. Ihre Augen waren riesengroß. »Hältst du mich?«, fragte ich Lars, woraufhin er wortlos den freien Arm um mich legte. In der anderen Hand hielt er den Dudelsack. Ich lehnte meinen Kopf
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