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Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)

Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)

Titel: Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hartman
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verwirrend, oftmals gar überwältigend. Deshalb hatten sie im Lauf der Jahre Strategien entwickelt, um »in Ard« zu bleiben, während sie in menschlicher Gestalt waren. Ard war eine der wichtigsten Wertvorstellungen der Philosophie der Drachen. Es bedeutete so viel wie Ordnung. Ihre Kampftruppen, die sogenannten Ards, waren danach benannt. Aber das Wort hatte noch einen viel tieferen Sinn. Ard war der Zustand, in dem sich die Welt eigentlich befinden sollte, es war der Sieg über das Chaos, es war moralisches Gebot und Garant körperlicher Unversehrtheit.
    Menschliche Gefühle, wirr und unvorhersehbar wie sie waren, ließen sich mit Ard nicht vereinbaren. Mithilfe von Meditation und einer Technik, die Orma Gedankenarchitektur nannte, teilten Drachen ihren Geist in Gebiete auf. In einer Abteilung zum Beispiel legten sie die Erinnerungen ab, die ihre Mütter ihnen mitgegeben hatten, weil sie verstörend tief und heftig waren. Das konnte ich nachvollziehen, denn allein schon jene eine Erinnerung meiner Mutter war überwältigend gewesen. Gefühle, die für einen Saar unbequem und verstörend waren, schloss er weg und ließ sie nie wieder nach draußen dringen.
    Visionen, wie ich sie hatte, waren Orma allerdings unbekannt, und er wusste auch nicht, was sie hervorrief. Dennoch war er davon überzeugt, dass eine Gedankenarchitektur verhindern würde, dass mich meine Visionen so unvermittelt außer Gefecht setzten. Wir versuchten, seinen mütterlichen Erinnerungsraum für meine Bedürfnisse abzuwandeln, und sperrten meine Visionen ein, genauer gesagt verbargen wir ein imaginäres Buch, das die Erinnerungen enthielt, in einer Truhe, in einem Grab und zuletzt in einer Grotte tief unter dem Meeresspiegel. Es klappte auch mehrere Tage lang, bis ich plötzlich auf meinem Heimweg vom Sankt-Ida-Konservatorium, wo er mich unterrichtete, zusammenbrach und wir von Neuem beginnen mussten.
    In meinen Visionen sah ich immer wieder die gleichen Leute; sie waren mir so vertraut geworden, dass ich ihnen schon Namen gegeben hatte. Es waren insgesamt siebzehn – eine Primzahl natürlich, für die sich Orma ganz besonders interessierte. Zuletzt machte er den Vorschlag, die Wesen einzufangen, statt die Visionen zu verdrängen. »Versuche dir eine menschliche Entsprechung, eine Art Stellvertreter, vorzustellen und ihm einen Ort zu geben, an dem er bleiben möchte«, sagte er. »Dieser Junge, den du Fledermausjunge nennst, klettert immer auf Bäume, also pflanze in deiner Vorstellung einen Baum. Vielleicht klettert der Stellvertreter hinauf und bleibt dort. Wenn es dir gelingt, eine Verbindung zu diesen Wesen zu knüpfen und aufrechtzuerhalten, werden sie aufhören, deine Aufmerksamkeit zu den unpassendsten Gelegenheiten einzufordern.«
    Ausgehend von dieser Idee hatte ich eine Fantasielandschaft angelegt. Jeder Stellvertreter bekam seinen Platz in meinem sogenannten Garten der Grotesken. Ich kümmerte mich jeden Abend um sie, denn nur so vermied ich Kopfschmerzen und Visionen. Solange ichdafür sorgte, dass diese einzigartigen Gartenbewohner still und zufrieden waren, hatte auch ich meine Ruhe. Weder Orma noch ich verstanden genau, warum das so war. Orma behauptete, dies sei das ungewöhnlichste Gedankengebäude, von dem er je gehört hatte. Er bedauerte, dass er keine Abhandlung darüber schreiben konnte, aber so wie meine Existenz selbst musste es ein Geheimnis bleiben, sogar den anderen Drachen gegenüber.

    Seit vier Jahren hatte mich keine unerwünschte Vision mehr heimgesucht, trotzdem durfte ich in meiner Wachsamkeit nicht nachlassen. Meine Kopfschmerzen nach dem Begräbnis des Prinzen deuteten darauf hin, dass die Wesen in meinem Garten in Aufruhr waren. In einer solchen Situation bestand die Gefahr, dass mich wieder eine Vision überkam. Nachdem Orma mich allein auf der Brücke zurückgelassen hatte, eilte ich so schnell ich konnte nach Schloss Orison und malte mir im Geist bereits aus, wie ich mich in der kommenden Stunde meiner »geistigen Hygiene«, wie Orma es nannte, widmete und meinen Kopf wieder in Ard brachte.
    Meine Unterkunft im Palast bestand aus zwei Zimmern. Das erste war eine Wohnstube. Hier übte ich. Das Spinett, das Orma mir geschenkt hatte, stand an der Wand, daneben befand sich ein Regal mit meinen Büchern, meinen Flöten und meiner Laute. Ich schleppte mich müde in das zweite Zimmer, in dem ein Schrank, ein Tisch und ein Bett standen. Die Möbel hatte ich vor zwei Wochen zum ersten Mal gesehen, aber sie waren

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