Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)
Zauntritt stieß ich auf Miserere, die dabei war, sich die Federn auszureißen. Ich brachte sie in ihr Nest zurück. Und Molch entdeckte ich wenig später unter den Apfelbäumen, wo er die Glockenblumen zerdrückte. Ich brachte ihn zu seiner Suhle und strich Schlamm auf seinen empfindlichen Kopf. Dann schaute ich nach, ob der Riegel an der Tür der Gartenlaube noch verschlossen war, und bahnte mir barfuß einen Weg durch ein Distelfeld, das völlig unerwartet vor mir auftauchte. In der Ferne sah ich die höheren Bäume im Hain des Fledermausjungen. Ich ging durch eine Heckenallee, wich immer wieder kurz vom Weg ab, lockte, beruhigte, bettete meine Schützlinge zur Ruhe und kümmerte mich um sie. Am Ende der Allee tat sich ein Abgrund auf. Die Schlucht des Lauten Lausers hatte den Ort gewechselt und schnitt mir den Weg zu den Dattelpalmen des Fledermausjungen ab.
Der Laute Lauser war der Pfeifer aus Samsam und einer meiner Lieblinge. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich die Bewohner des Gartens, die normal aussahen, den anderen vorzog. Dieser Stellvertreter war außergewöhnlich, weil er Lärm machte (daher auch sein Name), Sachen bastelte und manchmal auch das Gebiet, das ihm zugewiesen war, verließ. Das hatte mir anfangs heillose Schrecken eingejagt. Es gab noch eine andere Groteske, Jannoula, die gern umherwanderte, sodass mir nichts anderes übrig geblieben war, als sie in den kleinen Gartenpavillon zu sperren.
Die Visionen waren so, als würde ich mit einem magischen Fernglas in das Leben anderer schauen. Und Jannoula war irgendwie in der Lage gewesen, den Blick zu erwidern. Sie redete mit mir, horchte mich aus, schubste, bestahl und belog mich; sie schlürfte meine Ängste wie Nektar und roch meine Wünsche aus der Luft. Schließlich versuchte sie sogar, mir Vorschriften zu machen und meine Gedanken zu lenken. In meiner Angst vertraute ich mich Orma an, und er half mir, sie in die Gartenhütte zu sperren. Nur mit Mühe konnte ich sie überlisten, hineinzugehen. Es ist schwierig, jemanden zu täuschen, der weiß, was man denkt.
Was den Lauten Lauser anging, so war ständiger Bewegungsdrang einer seiner Wesenszüge. Aber anders als bei Jannoula hatte ich nie das Gefühl, dass ein samsamesischer Dudelsackpfeifer aus Fleisch und Blut mich beobachtete. Überall im Garten standen kleine Lauben und Pergolen, Geschenke seiner Königlichen Lautheit, und ich erfreute mich an ihrem Anblick.
»Lauter Lauser«, rief ich am Rande der Schlucht, »ich brauche eine Brücke!«
Ein rundlicher Kopf tauchte auf und zwei graue Augen sahen mich an, dann folgte ein riesenhafter Leib, ganz in Schwarz, der typischen Kleidung eines Samsamesen.
Der Herbeigerufene setzte sich an einen Klippenvorsprung, zog drei Fische und ein Damennachthemd aus seiner Tasche und fertigte daraus unter lautem Grölen eine Brücke, auf der ich die Schlucht überqueren konnte.
Im Garten war es wie in einem Traum, deshalb versuchte ich gar nicht erst, all diese Dinge zu verstehen.
»Wie geht es dir? Macht dir etwas zu schaffen?«, fragte ich und fuhr dem Lauser über sein widerspenstiges blondes Haar. Er grölte wieder und verschwand in seiner Schlucht. Das war nicht ungewöhnlich. Der Lauser war auch sonst gelassener als die anderen, vielleicht weil er sich immerzu beschäftigte.
Eilig ging ich zu dem Wäldchen, in dem der Fledermausjunge wohnte. Langsam begann ich mir Sorgen zu machen. Flederchen war meine Lieblingsgroteske, und die einzigen Orangenbäume im ganzen Garten wuchsen in seinem Hain neben Feigen, Datteln, Limonen und anderen Früchten aus Porphyrien.
Als ich das Wäldchen betrat, suchte ich sofort das Geäst der Bäume ab, aber da war er nicht. Ich schaute auf den Boden. Dort hatte er vom Baum gefallene Früchte zu Pyramiden aufgetürmt, aber er selbst war nirgendwo zu sehen.
Noch nie zuvor hatte er seinen Hain verlassen, nicht ein einziges Mal. Lange stand ich da, starrte die Bäume an und versuchte, sein Verschwinden zu begreifen.
Und wartete darauf, dass mein angsterfülltes Herz sich beruhigte.
Wenn Flederchen frei durch den Garten streifte, dann würde dies auch die Orangenschalen auf dem Rasen erklären und nicht zuletzt meine starken Kopfschmerzen. Was, wenn ein kleiner Junge aus Porphyrien einen Weg gefunden hätte, mich zu beobachten wie Jannoula … Bei dem Gedanken überlief es mich eiskalt. Ausgeschlossen, es musste eine andere Erklärung dafür geben. Es bräche mir das Herz, wenn ich keine Verbindung mehr mit
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