Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)
Missgeburten? Musik ist etwas, was Drachen nicht so beherrschen wie wir. Aber sie würden es gern besser können; sie sind begeistert von Musik und werden nie müde, es zu versuchen. Sie mögen vielleicht technisch vollkommen spielen, aber immer fehlt etwas. Und wisst ihr auch, warum?«
Ich antwortete im Chor mit den anderen, obwohl ich es fast nicht über die Lippen brachte: »Drachen haben keine Seele!«
»Genau!«, antwortete Viridius und fuchtelte mit seiner gichtkrummen Faust in der Luft herum. »Dieses eine ist ihnen verwehrt, was uns so wunderbar und auf so himmlische Weise zufliegt, und es ist an uns, sie mit den Nasen darauf zu stoßen!«
Die Chorsänger riefen halbherzig »Hurra!«, dann trollten sie sich. Ich ließ sie gehen, Viridius würde noch mit mir sprechen wollen. Aber zuvor hatten noch sieben oder acht Sänger dringende Fragen an ihn. Sie scharten sich um sein Gichtlager und schmeichelten ihm, als wäre er der Pascha von Ziziba höchstpersönlich. Viridius nahm ihre Lobhudeleien so selbstverständlich entgegen wie sonst die Chorröcke seiner Sänger.
»Serafina!«, übertönte der Meister schließlich die anderen und wandte seine Aufmerksamkeit mir zu. »Wie ich hörte, ist deine Anrufung mit viel Lob bedacht worden. Ich wünschte, ich hätte dabei sein können. Diese höllische Krankheit macht ein Gefängnis aus meinem Körper.«
Ich befühlte den Bund meines linken Ärmels; ich verstand ihn besser, als er ahnte.
»Bring mal die Tinte, Mädchen«, befahl er. »Ich möchte einiges auf der Liste abhaken.«
Ich holte das Schreibzeug und die Aufgabenliste, die er mir gleich zu meinem Arbeitsantritt bei ihm diktiert hatte. Bis zur Ankunft Ardmagar Comonots, dem obersten Drachen-General, waren es nur noch neun Tage. Am ersten Abend sollten ein Willkommenskonzert und ein Ball stattfinden. Ein paar Tage später waren dann die Feiern am Vorabend des Friedensschlusses, die die ganze Nacht andauern würden. Ich war jetzt seit Wochen vollauf mit den Vorbereitungen beschäftigt gewesen, aber es blieb immer noch sehr viel zu tun.
Ich las die Liste laut vor, Punkt für Punkt. Er unterbrach mich, wann immer es ihm passte. Er rief: »Dieser Abschnitt ist erledigt! Streich ihn durch!«, dann »Warum hast du noch nicht mit dem Kellermeister gesprochen? Das ist doch die einfachste Sache der Welt. Bin ich vielleicht Hofkomponist geworden, weil ich alles vor mir hergeschoben habe? Wohl kaum!«
Dann kamen wir zu dem Punkt, den ich am meisten fürchtete: das Vorspielen. Viridius kniff seine wässrigen Augen zusammen und fragte: »Nun, wie steht’s damit, Maid Dombegh?«
Er wusste ganz genau, wie es damit stand; aber offensichtlich wollte er mich ins Schwitzen bringen.
Ich sagte mit fester Stimme: »Ich musste den meisten absagen, weil Prinz Rufus so unerwartet dahingeschieden ist – möge er mit allen Heiligen zu Tische sitzen. Ich habe einige Termine neu anberaumt für –«
»Das Vorspielen darf man niemals bis zur letzten Minute aufschieben«, bellte er. »Meinem Wunsche entsprechend hätten die Musiker schon vor einem Monat bestimmt werden sollen!«
»Mit Verlaub, Meister, vor einem Monat habe ich noch nicht einmal für Euch gearbeitet.«
»Denkst du, ich wüsste das nicht?« Sein Mund klappte auf und zu. Er starrte auf seine verbundenen Hände. »Verzeih mir«, sagte er schließlich mit belegter Stimme. »Es ist bitter, wenn man all das, was man früher einmal tun konnte, nun nicht mehr kann. Stirb, solange du noch jung bist, Serafina. Tertius hatte schon recht.«
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Deshalb sagte ich: »Es ist nicht so schlimm, wie es den Anschein hat. Eure Schüler werden alle an den Konzerten teilnehmen; das Programm ist bereits zur Hälfte fertig.«
Bei der Erwähnung seiner Schüler nickte er gedankenverloren; der Mann hatte mehr Schützlinge als manch anderer Freunde. Es war fast Zeit für den Unterricht bei Prinzessin Glisselda, deshalb verschloss ich das Tintenfass und wischte eilig meine Feder mit einem Lappen ab. Viridius fragte: »Wann hast du vor, den Meister des Megaharmoniums zu treffen?«
»Wen?«, fragte ich und legte die Feder in die Schachtel zu den anderen zurück.
Er verdrehte seine rot geränderten Augen. »Kannst du mir sagen, wieso ich dir überhaupt Nachrichten zukommen lasse, wenn du sie ohnehin nicht liest? Der Schöpfer des Megaharmoniums will mit dir sprechen.« Ich muss ihn wohl ziemlich verständnislos angestarrt haben, denn er sprach
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