Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)
verglichen hat.«
Millie rümpfte die Nase, aber Glisselda blickte mich fragend an. Offenbar hatte sie noch nie eine Kakerlake gesehen. Ich überließ es Millie, ihr die Erklärung zu liefern. Bei ihrer Schilderung kreischte die Prinzessin laut auf, dann fragte sie: »Und in welcher Hinsicht gleichen wir diesem Ungeziefer?«
»Aus der Sicht der Drachen sind wir überall, so wie Kakerlaken. Wir können uns leicht verstecken, wir vermehren uns vergleichsweise schnell, wir stören sie beim Jagen und wir riechen schlecht.«
Die beiden Mädchen verzogen das Gesicht. »Tun wir nicht!«, protestierte Millie.
»Für einen Drachen schon.« Der Vergleich kam mir passend vor, deshalb spann ich die Geschichte weiter. »Stellt Euch vor, Ihr werdet scharenweise von Ungeziefer befallen. Was macht Ihr da?«
»Wir töten es«, riefen beide Mädchen wie aus einem Mund.
»Aber was, wenn das Ungeziefer schlau ist und sich zusammenrottet und eine eigene Art Taktik entwickelt, die wirksam ist? Was, wenn sie eine echte Chance hätten, diesen Kampf zu gewinnen?«
Glisselda schauderte es bei dem Gedanken, aber Millie sagte sofort: »Ich würde einen Waffenstillstand mit ihnen schließen. Ihnen bestimmte Orte überlassen, damit sie uns in unseren Häusern in Ruhe lassen.«
»Aber wir würden nur so tun als ob«, erklärte die Prinzessin resolut und trommelte mit den Fingern auf dem Cembalo. »Wir würden vorgeben, mit ihnen Frieden schließen zu wollen, und wenn sie sich dann in Sicherheit wähnen, würden wir ihre Häuser niederbrennen.«
Ich lachte überrascht. »Das soll mir eine Warnung sein, Prinzessin, mir niemals Eure Feindschaft zuzuziehen. Aber wenn die Kakerlaken uns nicht überlegen wären, dann würden wir uns nicht fügen? Dann würden wir sie überlisten?«
»Selbstverständlich.«
»Nun gut. Gibt es irgendetwas – was immer es auch sei –, womit die Kakerlaken uns überzeugen könnten, sie am Leben zu lassen?«
Die Mädchen sahen einander zweifelnd an. »Kakerlaken können nur grässlich herumkrabbeln und das Essen verderben«, sagte Millie und schlang die Arme fest um sich. Allem Anschein nach wusste sie genau, wovon sie sprach.
Glisselda hingegen dachte angestrengt nach, die Zungenspitze zwischen die Lippen geklemmt. »Was wäre, wenn sie Hof hielten oder Kathedralen bauten oder Gedichte schrieben?«
»Würdet Ihr sie dann am Leben lassen?«
»Vielleicht. Wie hässlich sind sie denn wirklich?«
Ich grinste. »Zu spät. Ihr habt bemerkt, dass sie interessant sind. Ihr versteht, was sie sagen. Was wäre, wenn Ihr für kurze Zeit eine von ihnen werden könntet?«
Die beiden Mädchen bogen sich vor Lachen.
Ich spürte, dass sie verstanden hatten, was ich meinte, fügte jedoch etwas ernster hinzu: »Unser Überleben hängt nicht davon ab, dass wir überlegen sind, sondern dass wir interessant genug sind.«
»Sag mir«, fragte Glisselda und lieh sich ein gesticktes Taschentuch von Millie aus, »woher weiß eine einfache Musikmamsell so viel über Drachen?«
Ich hielt ihrem Blick stand, aber ich musste gegen das Zittern in meiner Stimme ankämpfen. »Mein Vater ist der Rechtsberater der Krone in allen Fragen des Friedensvertrags mit Comonot. Er hat ihn mir als Gutenachtgeschichte vorgelesen.«
Das war zwar keine plausible Erklärung für meine Kenntnisse, aber die beiden Mädchen fanden den Gedanken so lustig, dass sie nicht weiter fragten. Ich lächelte mit ihnen, aber verpürte zugleich Mitleid mit meinem armen, traurigen Vater. Er war so verzweifelt auf der Suche nach einer Gesetzeslücke für sein Vergehen, unwissentlich eine Saarantras geheiratet zu haben.
Wie das Sprichwort so schön sagt, steckte er bis zum Hals in Sankt Vitts Spucke. Nein, nicht nur er, wir alle beide. Ich knickste und verabschiedete mich eilig, ehe die Mädchen etwas von dieser himmlischen Spucke bemerkten. Für mein eigenes Wohlergehen musste ich sehr genau abwägen, was wichtiger war – interessant oder unsichtbar zu sein.
Fünf
W ie immer war ich erleichtert, als ich mich abends in meine Unterkunft zurückziehen konnte. Ich musste üben, dann war da noch dieses Buch über Sinuslieder aus Ziziba, das ich unbedingt lesen wollte, und natürlich hatte ich eine Menge Fragen an meinen Onkel. Ich setzte mich sogleich ans Spinett und spielte einen besonders dissonanten Akkord, das Zeichen, das ich mit Orma vereinbart hatte, wenn ich mit ihm sprechen musste.
»Guten Abend, Fina«, dröhnte die Bassstimme des Kätzchens.
»Der
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