Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)
das neue Megaharmonium an. Es ist gerade fertig geworden, und soweit ich weiß, verfügt es über einige faszinierende akustische Effekte, die in so großem Maßstab bisher noch nie ausprobiert worden sind.«
Er versuchte zu lächeln, um mir zu beweisen, dass es ihm gut ging. Dann stellte er mir die Tür vor die Nase.
Zehn
I ch schlenderte zur Kathedrale, wie Orma vorgeschlagen hatte, denn mich zog es noch nicht wieder in den Palast zurück. Die Wolken hatten einen dünnen weißen Schleier über die Sonne gelegt und der Wind frischte auf. Vielleicht schneite es bald. Es waren noch fünf Tage bis Spekulus, der längsten Nacht des Jahres. Und das Sprichwort besagte: Ist Spekulus hell und klar, deutet’s auf ein kaltes Jahr.
Die Comonot-Uhr auf dem Kathedralenvorplatz, die die Stunden bis zur Ankunft des Ardmagar rückwärts zählte, war immer in meinem Blickfeld. Der Wechsel der verbleibenden Tage vollzog sich mitten am Vormittag, genau um die Zeit, zu der wir den Ardmagar in der Stadt erwarteten. Mir gefiel diese Genauigkeit, und ich sah zu, wie die mechanischen Figuren aus kleinen Türchen im Zifferblatt hervorkamen. Ein leuchtend grüner Drache und eine ganz in Purpur gekleidete Königin traten vor, verbeugten sich, jagten einander abwechselnd und hielten dann einen Stoff zwischen sich, was, wie ich vermutete, den Vertrag symbolisieren sollte. Es knirschte und knackte, und der wuchtige Uhrzeiger wanderte zur Drei.
Noch drei Tage. Ich fragte mich, ob die Söhne Ogdos ebenfalls unter Zeitdruck standen. Machte es ihnen Mühe, Aufruhr zu entzünden? Hatten sie genügend Fackeln und schwarze Federn? Genug fanatische Schwätzer?
Ich wandte mich wieder der Sankt-Gobnait-Kathedrale zu, getrieben von der Neugier auf Viridius’ Lieblingsschüler. Die Uhr, die er geschaffen hatte, war ohne Zweifel sehr beeindruckend.
Ich fühlte das Megaharmonium, noch ehe ich es hörte, durch meine Schuhsohlen hindurch, auf der Straße, ich nahm es nicht als Klang wahr, sondern als ein Vibrieren, als ob die Luft besonders stark auf mir lastete. Als ich näher zur Kathedrale kam, wurde mir klar, dass da tatsächlich ein Ton war, aber dass es mir schwerfiel, ihn zu bestimmen. Ich stand in der Vorhalle des nördlichen Seitenschiffs, die Hand an eine Säule gestützt, und spürte das Megaharmonium bis ins Mark.
Es war laut. Mehr konnte ich beim besten Willen nicht darüber sagen.
Ich öffnete die Tür und ging in das nördliche Seitenschiff. Der Klang blies mich fast wieder hinaus. Die ganze Kathedrale, jeder Winkel war davon erfüllt, die Töne ballten sich zusammen wie zu einem festen Körper, der alle Luft verdrängte und selbst undurchdringlich war. Ich musste warten, bis sich meine Ohren daran gewöhnt hatten, was aber überraschend schnell geschah.
Als ich den anfänglichen Schrecken überwunden hatte, war ich zutiefst beeindruckt. Meine armselige Flöte hatte das Gebäude schon zum Klingen gebracht, aber ihr zarter Ton war wie Kerzenrauch emporgestiegen, dies hier war eine Feuersbrunst.
Ich ging bis zum Goldenen Haus in der Vierung und bog dann in das südliche Querschiff. Jetzt erkannte ich, dass das Instrument vier Manuale hatte, die wie weiße Zahnreihen strahlten, und ein großes Pedal. Über, um und neben dem Instrument waren ganz akkurat die verschiedenen Pfeifen aufgereiht, es sah aus wie eine mit Palisaden umgebene Festung. Nein, es sah aus wie eine bizarre Kreuzung zwischen einem Dudelsack und … und einem Drachen.
Ein großer schwarz gekleideter Mann thronte auf der Sitzbank, seine Füße tanzten den Grundbass und seine breiten Schultern erlaubten es ihm, mit den Händen so weit auszugreifen wie ein Berggorilla aus Ziziba. Ich war zwar auch nicht gerade klein, aber ich hätte mich unmöglich so verrenken können, ohne mir die Arme auszukugeln.
Auf dem Notenpult lagen keine Noten, gewiss hatte noch niemand etwas für dieses Ungetüm komponiert. War dieses Durcheinander an Tönen sein eigenes Werk? Vermutlich. Es war großartig, wie ein Gewitter über der Moorlandschaft oder ein reißender Fluss großartig ist, soweit man einer Naturgewalt Genie zusprechen konnte.
Aber ich hatte vorschnell geurteilt. Je länger ich zuhörte, desto klarer wurde mir die Struktur des Stücks. Die Lautstärke und die Wucht des Klangs hatten mich von der Melodie abgelenkt, die zart, beinahe schüchtern war. Das bombastische Getöse täuschte den Hörer.
Der Musiker entließ den letzten Akkord wie einen Felsbrocken von einer
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