Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)
weiter.« Er hob die Hand, wie um mir einen kameradschaftlichen Klaps auf die Schulter zu geben, doch dann verbeugte er sich elegant und ging, um mit dem Ardmagar zu speisen.
Ich musste mich einen Augenblick lang hinsetzen, denn mir schwirrte der Kopf. Ich hatte eine Einladung zum Tanz angenommen. Nach landläufiger Meinung konnte ich gar nicht tanzen. Außerdem stand es mir nicht zu, mit welchem Prinzen auch immer zu tanzen, nicht einmal mit einem, dem unsere standesmäßigen Unterschiede egal waren und der unerklärlicherweise in mir eine Person zu sehen schien, der man vertrauen konnte.
Ich legte die Stirn an den kühlen Stein der Balustrade. Prinz Lucian hielt mich für einen ganz normalen Menschen, weshalb ich mir auch ganz normal vorkam, und genau das war das Grausame daran. Ich könnte ihm in einem einzigen Augenblick sämtliche Illusionen nehmen, ich müsste nur meinen Ärmel hochschieben. Weshalb sollte ich mit der Angst leben, dass er mich eines Tages abstoßend findet, wenn ich doch sofort vollendete Tatsachen schaffen könnte? Ich fuhr mit der Hand unter die Schnüre des Ärmels, ich spürte die kalten Schuppen mit den scharfen, zackigen Kanten, das leibhaftige Entsetzen, und ich hasste sie.
Warum hatten mich diese Erinnerungen so unerwartet überkommen? Waren sie eine weitere Gedankenperle, wie jene, die Orma zum Vorschein brachte, als er seine natürliche Gestalt angenommen hatte? Gab es noch mehr von ihnen? War mein Kopf voller Zunder, der nur auf einen Funken wartete?
Zitternd stand ich da. Mir fielen die Worte meiner Mutter ein: Ich kann nicht bei denen verweilen, die glauben, dass etwas mit mir nicht stimmt. Ich war wütend auf ihren Hochmut und auf ihr Glück. »Nein, Mutter, mit dir hat alles gestimmt«, murmelte ich, als ob sie neben mir stünde. »Aber mit mir stimmt etwas nicht. Und du bist schuld daran, dass es so gekommen ist.«
In meinem Kopf hüpfte die Schatulle wie ein lebendiges Wesen.
Sechzehn
I ch ging in mein Zimmer zurück, um ein Nickerchen zu halten, stellte aber sicher, dass ich rechtzeitig wieder aufwachte, damit ich noch mein festliches Überkleid anziehen konnte. Es war kastanienbraun mit schwarzen Stickereien. Zum Gedenken an Prinz Rufus legte ich noch eine weiße Schärpe an. Ich unternahm den Versuch, mich hübsch zu frisieren, denn Glisseldas Bemerkung ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Mehrmals steckte ich mein Haar auf, aber nie war ich mit dem Ergebnis zufrieden. Enttäuscht ließ ich die Haare schließlich offen herabfallen und legte hübsche Ohrringe an, sozusagen als Ausgleich, auch wenn es vermutlich niemand bemerken würde. Viel mehr an Schmuck besaß ich nicht, den Ohrring, den mir Orma gegeben hatte, einmal ausgenommen. Ich überlegte kurz, ihn in mein Haar zu stecken – er sähe bestimmt hübsch aus, und kein Mensch würde merken, um was es sich dabei handelte –, aber ein Saarantras wüsste sofort, dass Quigutl ihn gemacht hatten. Ich verzichtete darauf und ließ den Ohrring in meinem Zimmer zurück.
Für das Begrüßungskonzert hatten wir mehr als einen Monat lang geprobt, trotzdem war ich von dem dargebotenen Schauspiel überwältigt. Vielleicht war alles viel eindrucksvoller im Licht der vielen hundert Kerzen, vielleicht verlieh auch das erlesene Publikum der Vorstellung einen besonderen Glanz, ich weiß es nicht, aber es lag ein Zauber in der Luft, und auf wundersame Weise ging alles wie von selbst. Niemand kam zu spät oder spielte falsch, niemand fiel von der Bühne, und wenn jemand doch einen falschen Ton spielte, dann spielte er ihn mit solcher Leidenschaft, dass er schon wieder richtig klang.
Das war überhaupt das Geheimnis eines jeden Künstlers: die Leidenschaft. Der richtige Ton, zaghaft gespielt, hinterlässt keinen Eindruck; wird er hingegen selbstbewusst vorgetragen, fragt niemand, ob er richtig ist. Wenn man an die Wahrhaftigkeit der Kunst glaubte – und das tat ich –, dann war es geradezu verstörend, wie eng verwandt die Kunst des guten Vortrags und die Lüge sind. Vielleicht war die Lüge auch eine Art von Kunst. Ich dachte häufiger darüber nach, als gut für mich war.
Der Ardmagar saß bei den Vorstellungen mitten vor der Bühne, erwartungsvoll und mit glänzenden Augen. Während Guntard sein Schalmeiensolo spielte, stand ich hinter dem Vorhang, beobachtete Comonot und versuchte seinen Gesichtsausdruck mit dem, was er bei seinem Vortrag im Hohen Nest gesagt hatte, in Einklang zu bringen. Für jemanden, der überzeugt
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