Serafinas später Sieg
Augenblick an der Schulter des Engländers lehnte, mußte er sich insgeheim berichtigen. Die Sterne waren nur ein Werkzeug – ein Werkzeug Allahs.
»Ich möchte, daß Sie mich nach Hause begleiten, Monsieur Marlowe«, sagte er. »Ich habe eine Bitte an Sie.«
Da der Arzt ein Kind ihres Stammes behandelt hatte, lehnte die Tuareg-Frau Kara Alis Ansinnen nicht ab, Thomas Marlowe mitzunehmen, aber an ihren geschürzten Lippen und der ungeduldigen Handbewegung, mit der sie ihren Liebhaber entließ, konnte man unschwer erkennen, wie ungehalten sie darüber war.
In die Stille seines Hauses zurückgekehrt, führte Kara Ali Thomas Marlowe in den Raum mit den Öfen und den Büchern. Achmed zündete die Messinglampen an und zog sich dann auf seinen Platz vor der Tür zurück. Der Arzt war müde, doch er hatte noch eine wichtige Aufgabe zu erfüllen, bevor er sich Schlaf gönnen durfte. »Erzählen Sie mir Ihre Geschichte«, forderte er seinen Gast auf. »Ich möchte erfahren, wie ein englischer Steuermann dazu kommt, mit einer Tuareg-Karawane durch dieses Land zu ziehen.«
»Mein Schiff strandete.« Der Engländer, der Hose, Hemd und ein gefüttertes Wams trug, schaute kurz von der Landkarte auf, die Kara Ali auf dem Tisch vor ihm ausgebreitet hatte. »Vor der Berber-Küste, etwa hier, denke ich.« Er deutete auf eine Ecke der Karte. »Das war vor ungefähr vier Monaten. Wir liefen auf eine Sandbank auf.«
Der Arzt hob die Brauen. »Sagten Sie nicht, Sie seien Steuermann, Monsieur Marlowe?«
»Auch der beste Steuermann kann dem Kapitän einen Kurs nur empfehlen, er kann ihn nicht zwingen, sich danach zu richten«, erwiderte Thomas steif.
Kara Ali ließ sich auf einem Hocker nieder und fixierte seinen Gast. »Und dann, Monsieur Marlowe?«
»Ich schwamm an Land. Da ich keine anderen Überlebenden finden konnte, machte ich mich allein auf den Weg. Ich wollte zu einer Hafenstadt, doch ich wurde von Nomaden aufgegriffen, die mich als Packtier mißbrauchten. Ich konnte fliehen, verirrte mich jedoch – ich bin an Meere aus Wasser gewöhnt, nicht an solche aus Sand, Sir – und dachte schon, mein Ende sei gekommen, als die Tuareg mich fanden und mitnahmen.«
Die Augen des Steuermanns hatten sich nicht von der Karte gelöst, während er sprach. Kara Ali spürte seine Sehnsucht nach der See. »Und was nun, Monsieur Marlowe?« fragte er. »Wollen Sie für den Rest Ihrer Tage mit den Tuareg durch die Wüste ziehen?«
Jetzt hob Thomas den Kopf und schaute den alten Mann an. Zorn und Ablehnung standen in seinen blauen Augen. »Ganz sicher nicht, Sir! Ich habe eine Aufgabe.«
»Welche Art von Aufgabe, Monsieur Marlowe?«
Sorgfältig faltete der junge Mann die Karte zusammen. »Ich werde ein Schiff bauen!«
Der Arzt antwortete nicht sofort, sein Herz hatte zu hämmern begonnen. Er fühlte, wie sein Leben dahin rann wie der Sand in einem Stundenglas – und er mußte die letzten Körner noch eine kleine Weile zurückhalten. Er musterte den Engländer eingehend, die Hakennase, den energischen Mund, die stolzen klugen Züge und die Hände, deren Schwielen von jahrelanger harter Arbeit zeugten, und dann sagte er: »Ich habe Ihnen auch eine Geschichte zu erzählen, Monsieur Marlowe – und einen Vorschlag zu machen.«
Als er geendet hatte, sagte Thomas: »Von Oran nach Cartagena? In einem Fischerboot? Das könnte mich das Leben kosten!«
»Das könnte es.« Kara Ali zog sein Gewand eng um seinen schmerzenden Körper. »Aber Sie sagten doch, Sie seien ein guter Navigator.«
»Der beste«, korrigierte Thomas grimmig. Seine Hände hatten sich zu Fäusten geballt. »Aber ich kann ebensowenig in die Zukunft sehen wie Ihre Sterne. Wenn ein Sturm aufkäme – und das wäre zu dieser Jahreszeit durchaus nicht ungewöhnlich …
Wenn ich jünger wäre, würde er auf mich losgehen, dachte Kara Ali. Doch sein Alter schützte ihn, und so fuhr er fort: »Sie haben noch gar nicht nach der Bezahlung gefragt, Monsieur Marlowe.«
»Bezahlung?« Thomas starrte ihn an. »Ich bin in den letzten Monaten etwa ein dutzendmal nur knapp mit dem Leben davongekommen, was haben Sie mir anzubieten, das mich veranlassen könnte, es noch einmal aufs Spiel zu setzen?«
»Gold natürlich«, antwortete Kara Ali ruhig. »Für den Bau Ihres Schiffes. Oder Ihre Freiheit.«
Der Engländer lächelte hochmütig. »Gold habe ich – und meine Freiheit ebenfalls.«
Kara Ali schüttelte den Kopf. »Da irren Sie sich.« Als er das Feuer der Wut in den blauen Augen
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