Seraphim
das getan?«, hauchte sie.
Er hob eine Hand, wollte sie an der Wange berühren, aber er hatte nicht mehr die Kraft dazu. Sein Arm kippte weg und er hustete kraftlos. »Die Folter«, flüsterte er. »Ich hätte es nicht ... noch einmal ausgehalten.« Seine Lippen bebten. »Ich war es nicht ... Katharina ... das musst du mir glauben!« Sein Blick irrte über ihre Schulter davon. »Lorenz«, murmelte er, und unwillkürlich drehte sich Richard um. Da war niemand.
Blutiger Schaum trat auf Sebalds Lippen. Er hustete noch einmal, schwer und qualvoll.
»Lorenz?« Sigrid war aufgestanden und trat zu ihrem sterbendenSohn. »Was ist mit Lorenz? Rede!« Die Strenge in ihrer Stimme verursachte Richard eine Gänsehaut.
Doch Sebald schloss nur gequält die Augen. Der Puls an seinem Hals ging schnell und flach.
Dann, mit einem letzten, langen Atemzug, starb Sebald.
Sigrid ließ sich neben ihm auf die Knie fallen. Ihre Gelenke krachten dabei. »Nein!«, klagte sie. »Sebald, nicht auch noch du! Du darfst mich nicht auch noch verlassen!« Sie streckte die Hände aus, tastete nach Sebalds Gesicht, strich darüber, als könne sie ihn so wieder zum Leben erwecken.
»Kommt!« Richard überwand sich, nahm Katharina bei den Schultern und zog sie hoch. »Es ist vorbei.« Sie ließ es geschehen.
»Wer ist Lorenz?«, murmelte sie. Ihre Augen glänzten feucht, ihr Kinn zitterte. Dann fiel ihr Blick auf den Amulettanhänger auf Sigrids Brust. Die alte Frau hatte das Gesicht in den Händen geborgen, schaukelte schluchzend vor und zurück und flüsterte immer und immer wieder Sebalds Namen.
Katharina machte sich aus Richards Griff los.
Und in diesem Moment sah Richard es.
»Der heilige Lorenz«, flüsterte er.
Schutzpatron des südlichen Nürnberger Stadtteils, während Sebald der des nördlichen war.
Fragend sah Katharina Schedel an. Der Medicus musste die Antwort nicht mehr geben. Richard kannte sie bereits.
»Lorenz hieß Sebalds Bruder«, sagte er.
Zeuner war der erste, dem es gelang, sein Entsetzen über Sebalds Selbstmord zu überwinden. Er gab seinen Männern Befehl, sich um die Leiche und um Sigrid zu kümmern, dann fasste er Hartmann Schedel fest ins Auge. »Mit Euch unterhalte ich mich noch«, drohte er. »All das hier hätte verhindert werden können, wenn Ihr eher den Mund aufgemacht hättet.«
Schließlich wandte er sich an Richard und Katharina. »Bitte geht nach oben und wartet im Rathaus auf mich. Ich muss Euch ein paar Fragen stellen.«
Katharina verspürte Erleichterung darüber, dass er offenbar nichtvorhatte, sie sofort wieder in die Hexenzelle bringen zu lassen, aber gleichzeitig wunderte es sie auch. Sie wagte es jedoch nicht, den Bürgermeister nach seinen Gründen zu fragen.
Richard hatte nicht solche Skrupel. »Was für ein Spiel spielt Ihr eigentlich?«, wollte er wissen. »Ich meine, dass Ihr Katharina zum Rabenberg habt schaffen lassen, hatte doch nichts damit zu tun, ihr die Auswirkungen der Folter vor Augen zu führen. Und warum sperrt Ihr sie jetzt nicht wieder ein?«
Halb erwartete Katharina, dass sich Zeuner wegen dieser Worte genau dazu gezwungen sehen würde, doch sie täuschte sich. Er lächelte, aber es sah traurig aus. »Ich kann Euch meine Gründe nicht darlegen«, antwortete er. »Aber seid versichert, Frau Jacob, dass ich nach wie vor auf Eurer Seite stehe.«
»Warum?« Richard schien nicht gewillt, den Bürgermeister so einfach davonkommen zu lassen. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt, und es sah aus, als müsse er sich beherrschen, Zeuner nicht am Kragen zu packen. »Ich ...«
»Es gibt da etwas, das ich Euch sagen muss«, beeilte sich Zeuner zu versichern. »Geht nach oben, dann erfahrt Ihr mehr.«
Damit gab sich Richard zufrieden. Er wollte Katharina stützen, aber sie wehrte sich gegen seine Berührung. Jede Art der Nähe war ihr für den Moment unerträglich. Ihre Augen schwammen in Tränen, und sie stolperte über die Schwelle, die aus der Wohnstube hinausführte.
Draußen war es inzwischen dunkel geworden. Der Regen hatte nachgelassen. Wie ein feiner, dünner Nebel hing er in der Luft, netzte ihr Gesicht und legte sich als Film über ihre Augäpfel. Als habe es noch dieses winzigen Tropfens gebraucht, rannen ihre Lider über, und Träne um Träne lief ihr über die Wangen.
Richard schaute sie schweigend von der Seite her an, aber er machte keinerlei Anstalten mehr, sie zu berühren.
In der Eingangshalle des Rathauses herrschte trotz der späten Stunde reges Treiben.
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