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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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nächsten Zeit außerordentlich vorsichtig sein. Solches Gerede führt leicht dazu, dass die Leute überall Hexenwerk sehen, und ich habe keine Lust, wegen unserer Studien hier unten in den Verdacht der Zauberei zu geraten.« Er warf einen Blick auf die Leiche unter dem Tuch.
    »Der letzte Fall von Zauberei mit Leichenteilen ist viele Jahre her«, warf Pömer ein. »Aber Ihr habt recht. Die Lage in der Stadt erhöht die Gefahr für uns.«
    »Aber das ist nicht der Grund für Eure schlechte Laune, oder?«, fragte Richard.
    »Nein.«
    »Sondern?«
    »Der Blutbann.«
    Richard nickte, um den Getreidehändler zum Weiterreden aufzufordern.
    »Sie haben die außerordentliche Sitzung heute gleich noch dazu benutzt, mir zu eröffnen, wem sie den Blutbann übergeben haben.« Voller Zorn zog Pömer die Stirn in Falten.
    »Und?«
    »Konrad Seiz.«
    Der Name sagte Richard nichts, aber trotzdem musste er sich ein Schmunzeln verkneifen.
    »Grinst Ihr nur!«, klagte Pömer. »Ihr habt ja keine Ahnung, was ich alles getan habe, um dieses Privileg vom Kaiser verliehen zu bekommen!«
    Richard bemühte sich um ein ausdrucksloses Gesicht. Pömer hatte ihm oft genug davon vorgeschwärmt, wie es sein würde, wenn er erst den Blutbann sein Eigen nennen durfte. Mit diesem wichtigen kaiserlichen Privileg hatte es eine besondere Bewandtnis. Lange Zeit war der Blutbann über Nürnberg einem Schultheißen wie eine Art Lehen verliehen worden, doch im Laufe der Jahre eignete sich der Stadtrat die Gerichtsbarkeit immer mehr an und kaufte schließlich im Jahr 1427 das Schultheißenamt gänzlich von den Burggrafen ab. Von diesem Zeitpunkt an wurde der Blutbann dem Stadtrat selbst verliehen, genauer gesagt einem seiner Mitglieder.
    »Ihr hättet Euch vor Euren Bemühungen eben besser darüber erkundigenmüssen, wie die Nürnberger mit der Verleihung des Blutbanns in ihrer Stadt umgehen«, lächelte Richard.
    Um den Einfluss des Kaisers auf die Stadt und ihre Menschen so gering wie möglich zu halten, hatte man ein Gesetz erlassen, das den Inhaber des Blutbanns dazu zwang, ihn sofort an einen vom Rat bestimmten Ratsherren, den Stadtrichter, weiterzuverleihen. Und wer Stadtrichter werden durfte, bestimmte allein der Rat. Auf diese Weise hatte man den Einfluss der Krone auf die Stadt massiv beschnitten.
    Dieser Umstand hatte Enzo Pömer völlig unerwartet getroffen.
    »Ihr habt ja recht!«, jammerte er. »Aber ungerecht ist es trotzdem! Ich habe alles dafür getan, dieses Privileg zu bekommen. Wurde gerade noch rechtzeitig in den Rat gewählt, so dass Maximilian es mir verleihen konnte, bevor er Nürnberg wieder verlassen musste.« Er hob die Hände und rang sie, als gälte es, nicht den Verlust eines Privilegs, sondern den eines geliebten Menschen zu beklagen.
    »Mir war sowieso nie klar, warum Ihr so nach dieser seltsamen Macht giert«, wandte Richard ein. »Ich meine, ich würde es nicht anstreben, für das Aussprechen von peinlichen Strafen zuständig zu sein.«
    Pömer hatte seinem Regal den Rücken zugekehrt und ging jetzt auf den Tisch in der Mitte des Gewölbes zu. Mit einer Hand strich er über das weiße Laken, ohne es dabei wirklich zu berühren. »Nein«, sinnierte er, »das würdet Ihr nicht. Ihr habt andere Bestrebungen.«
    »Passt auf, was Ihr sagt!«, knurrte Richard, aber Pömer lächelte nur.
    Richard bezwang seinen Zorn. Im Grunde hatte Pömer ja nicht ganz unrecht. Plötzlich hatte er das Bedürfnis, das Thema zu wechseln. Er wies auf die Umrisse unter dem Laken.
    »Was habt Ihr? Mann oder Frau?«, fragte er.
    Pömer schüttelte so heftig den Kopf, dass die Fettfalten unter seinem Kinn ins Wackeln gerieten. »O nein! Das wird eine Überraschung. Wartet es ab. Diesmal hat Arnulf sich selbst übertroffen.«
    »Wie Ihr wollt.« Am liebsten hätte Richard Pömer ein paar scharfe Worte gesagt, um ihm klar zu machen, wer von ihnen beiden hier der Wichtigere war. Aber er beherrschte sich und ließ es bleiben. »Wann kommt Marquard?«
    »Bald, mein Lieber, bald. Aber vorher möchte ich Euch etwas zeigen. Wartet hier!« Er verschwand durch den Torbogen, und Richard konnte ihn in der Finsternis dahinter herumkramen hören.
    Schließlich erschien er wieder, auf dem Arm ein dickes ledergebundenes Buch, das er an die Brust gedrückt hielt wie ein kleines Kind. »Helft mir!«
    Richard ging zu ihm und griff nach zwei Ecken des Buches. Gemeinsam schafften sie es zu dem Stehpult, wo sie es vorsichtig ablegten. Pömer streichelte andächtig über den

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