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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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den man gefunden hat?«
    »Wenn es das wäre«, brummte Pömer plötzlich missgelaunt und schlug das Buch mit einem lauten Knall zu, »dann würde wohl kaum der Stadtrat dafür zuständig sein, oder?«
    Marquard lachte auf. »Wohl nicht. Ich muss nur die Augen schließen, dann sehe ich sie vor mir, die ganzen Pfaffen mit ihren Bibeln, den Behältern voller Reliquien und den Weihrauchfässern, wie sie in die Felsengänge einfallen und alles unter ihre Fuchtel bringen.«
    Pömer wischte über den Buchdeckel, als wolle er eine Staubschicht entfernen. »Dabei hätte allerdings der Rat auch noch ein Wörtchen mitzureden.«
    Marquard schnaubte. »Nicht mal der Stadtrat von Nürnberg ist in der Lage, sich gegen die Macht der Kirche zur Wehr zu setzen! Ich sage Euch, wenn das da unten wirklich ein Engel war, dann werden sie kommen, die ganzen weißberockten Hunde des Herrn, und sie werden überall herumschnüffeln!«
    Richard räusperte sich. »Ein Grund für uns, noch vorsichtiger zu Werke zu gehen, als wir es ohnehin schon tun. Oder wollt Ihr der Zauberei mit Leichenteilen angeklagt werden, mein lieber Marquard?«
    Der Maler schüttelte energisch den Kopf. »Natürlich nicht!«
    »Gut. So lasst uns endlich anfangen. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.« Richard ballte die Hände zu Fäusten, bis seine Knöchel anfingen zu schmerzen.
    »Er hat recht«, sagte Marquard. Er warf einen begehrlichen Blick auf das Laken und zog dann einen Block und eine Schachtel mit Zeichenkohle aus den Tiefen seines Mantels, den er bisher nicht abgelegt hatte.
    Pömer klatschte in die Hände, ließ sein kostbares Buch auf dem Pult liegen und wandte sich dem Tisch zu.
    Richard trat neben Marquard, bereit, sofort ein Stück abzurücken, falls der Maler versuchen würde, ihn wie unbeabsichtigt zu berühren. Doch Marquard schien plötzlich alles Interesse an Richard verloren zu haben. »Sieht ganz so aus, als hättet Ihr ein neues Studienobjekt besorgt«, sagte er.
    »Ja.« Pömer griff nach zweien der Tuchzipfel. »Diesmal werdet Ihr äußerst zufrieden sein mit mir, Sterner! Diesmal, das verspreche ich Euch, kommen wir Eurem Ziel einen großen Schritt näher!«
    Er grinste breit, und Richard schaute auf seinen Eckzahn, der schräg vor den danebenliegenden Schneidezahn wuchs. Ein Stück Fleisch hatte sich zwischen beiden festgesetzt.
    Richard verspürte einen Anflug von Ekel. Pömers Blick lag auf ihm, und er begriff, dass er ein paar passende Worte sagen sollte. Ihm fiel kein einziges ein.
    »Nun spannt uns nicht auf die Folter!«, hörte er Marquard flüstern.
    Pömer lachte.
    Mit einem Ruck zog er das Tuch fort.
    Richard unterdrückte ein Stöhnen, doch Marquard pfiff anerkennend durch die Zähne.
    Vor ihnen lag – schneeweiß und makellos – die entblößte Leiche eines ungefähr fünfzehnjährigen Jungen.

6. Kapitel
    Als der Leichenkarren durch das Tor auf den Nordhof des Klosters rumpelte, war Johannes Schedel gerade dabei, zusammen mit Guillelmus eine Ladung mit Starkbier entgegenzunehmen, das ein Brauer aus der Stadt eigens für das Kloster herstellte. Zwar brauten die Mönche ihr eigenes Bier, aber Johannes hatte herausgefunden, dass das Produkt dieses einen Brauers sich als Stärkungsmittel bei Magenbeschwerden besonders gut eignete. Aus diesem Grund hatte er von Prior Claudius die Erlaubnis erhalten, einmal im Monat eine kleine Kiste voll davon zu kaufen.
    Während Johannes im Beisein des Brauers die Menge der Flaschen überprüfte und auch den Stand der Flüssigkeit in jeder einzelnen, dozierte er über die Vorzüge dieses speziellen Bieres. »... habe ich bisher den Grund für seine Wirkung nicht herausgefunden, aber das ist ja auch nicht nötig. Gott hat es gut eingerichtet, und das ist alles, was wir wissen müssen.« Er bemerkte, dass Guillelmus ihm nicht zuhörte, und sah auf.
    Die Augen des jungen Mönches waren hervorgetreten wie die einer Kuh.
    »Himmel nochmal! Nimm dich zusammen, wenn ich mit dir rede, Bursche! Was ist denn?« Johannes wandte den Kopf und bemerkte den Karren. Es war ein alter Leiterwagen, einer mit breiter Ladefläche, wie sie zu Dutzenden zur Zeit des letzten großen Ausbruchs der Roten Siech in Nürnberg in Dienst gestellt worden waren.
    Auf der Ladefläche lag, in ein weißes Tuch eingeschlagen, eine einzelne Leiche.
    Guillelmus bekreuzigte sich eilig. Seit sie die toten Inquisitoren gefunden hatten, wirkte der Junge fahrig und ängstlich wie ein kleines Kind. Es war schwierig für Johannes, sein

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