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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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meine, soweit ich weiß, steht auf den Diebstahl von Gemüse aus den Gärten nur einfaches Tauchen, oder irre ich mich?«
    Kinder, die in den Obstbäumen oder Beeten von Fremden erwischt wurden, wurden üblicherweise in einen Drahtkorb gesteckt und darin viermal in die Pegnitz hinabgelassen. Es war eine Warnung, mehr nicht. Der Übeltäter sollte sich nass wie eine Wasserratte nach Hause trollen und sich bessern.
    »Es ist wohl ein bisschen aus dem Ruder gelaufen«, beantwortete Pömer Marquards Frage. »Der Nachrichter war an jenem Tag nicht in der Stadt, und so hat der Löve seine Arbeit gemacht. Der Flaschenzug, mit dem er den Jungen wieder hochziehen sollte, hat geklemmt.«
    Richard holte Luft. Sein Hals war jetzt so trocken, dass es ihn schmerzte. »Er ist in dem Korb ersoffen wie eine Katze«, murmelte er. Bilder stürmten auf ihn ein, dunkles Wasser, bitter in seinem Mund und eisig in seiner Kehle, doch er schob sie von sich. Es war besser, die Gedanken auf andere Dinge zu richten ...
    »Was hat seine Familie dazu gesagt, dass man den Henkersgehilfen mit seiner Bestrafung beauftragt hat?«, fragte Marquard.
    Was haben sie dazu gesagt, dass er tot ist? , dachte Richard bei sich. Ein völlig unpassendes, grausames Lachen stieg in ihm auf. Er schluckte es runter.
    »Der Türmer war kurze Zeit vorher gestorben, und eine Familie hatte der Junge nicht«, erklärte Pömer. »Glaubt Ihr etwa, ich hätte Arnulf den Auftrag gegeben, einer Familie ihren Leichnam aus dem Grab zu stehlen?«
    Richard war sich nicht ganz sicher, wie weit der Getreidehändler zu gehen bereit war. Als sie sich vor ein paar Jahren zusammengetan hatten, um ihre anatomischen Studien erfolgreicher durchführen zu können, hatte er Pömer ein paarmal gefragt, warum er mitmachte. Die einzige Antwort, die er erhalten hatte, war ein lapidares »Aus reiner Neugier, mein Lieber, aus reiner Neugier!« gewesen. Irgendwann hatte Richard aufgegeben, weiter in Pömer zu dringen. Schließlich wussten der und Marquard über seine eigenen Motive, hier zu sein, auch nicht viel mehr. Alles, was Richard ihnen erzählt hatte, war, dass seine kleine Schwester Magdalena im Alter von sechs Jahren ertrunken war.
    Er nickte langsam. »Nein, das hättet Ihr wohl nicht«, sagte er, auch wenn er nicht überzeugt war. Wegen Magdalena war er selbst bereits vor langer Zeit viel zu weit gegangen.
    Einen Moment standen sie allesamt schweigend um den toten Jungen herum.
    Schließlich war es Marquard, der die Stille durchbrach. »Ich überlege gerade, was dieser junge Kerl eines Tages sagen wird, wenn Jesus Christus ihn aus seinem Grab aufweckt und er feststellt, dass Menschen ihn nicht nur wie eine Katze ersäuft, sondern ihn auch noch auseinandergeschnitten haben.« Wie bei jedem ihrer Treffen brachte er früher oder später das Gespräch auf dieses Problem.
    Richard fuhr mit dem Zeigefinger die Rinne am Rand des Seziertisches entlang, die dazu diente, eventuell fließendes Blut aufzunehmen und in einen Eimer zu leiten. »Papst Sixtus IV. hat Zergliederungen gutgeheißen«, sagte er, »weil sie dazu beitragen, dass wir Krankheiten wie die Pest besser verstehen lernen – und sie vielleicht eines Tages auch heilen können.« Es waren Worte, die er sich selbst immer und immer wieder vorbetete, wenn ihn die Zweifel und die Angst überkamen.
    Marquard schien nicht gewillt, so schnell aufzugeben. »Stimmt. Aber auch Sixtus war sich klar darüber, dass ein Christenmensch am Ende seiner Tage mit seinem Leib auferweckt wird.«
    Richard kämpfte gegen die Vorstellung sich öffnender Gräber, aus denen ihre Opfer emporstiegen, die Haut in Fetzen um ihre Körper hängend oder die Muskeln bloßgelegt wie dunkelrote Seile.
    »Darum hat er angeordnet, nur ungetaufte Heiden zu zergliedern«, fuhr Marquard fort.
    »Stimmt. Aber es wurden auch schon verurteilte Christen studiert, ohne dass Gottes Zorn die Männer, die es getan haben, getroffen hat.« Pömer tätschelte dem jungen Toten mit einer solchen Hingabe die Wange, dass Richard wegsehen musste. Plötzlich fühlte er sich matt und fiebrig.
    Er begriff, dass er Gefahr lief, aus dem Gewölbe zu rennen und nie mehr zurückzukommen. Aber das durfte er sich nicht gestatten! Alles, was er bisher auf sich genommen hatte, wäre dann umsonst gewesen. Bei Gott, endlich hatte er wieder einmal einen Ertrunkenen vor sich! »Hört auf, Euch zu rechtfertigen«, sagte er zu Pömer, und er hörte selbst den harten und kalten Ton in seiner Stimme. »Und

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