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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
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Truhe auf und holte das alte braune Fotoalbum heraus. Es enthielt Hunderte von Aufnahmen, die älteren noch schwarzweiß, die jüngeren in Farbe.
    Mir waren die Schwarzweißfotos lieber, auf denen die Menschen immer irgendwie dramatischer dreinschauten als heutzutage. Auch waren Licht und Schatten künstlerischer gestaltet, was vermutlich einfach daran lag, dass die Fotos alle in einem Atelier aufgenommen wurden.
    Die Frau saß oft auf einem Stuhl, der Mann stand in Anzug und Krawatte hinter ihr und legte dezent eine Hand auf die Stuhllehne.
    Es fiel auch keinem ein, etwa in die Kamera zu lachen, und bestimmte plärrte niemand »Cheese« . Man sah ernst und würdevoll drein oder verstieg sich allerhöchstens zu einem verschmitzten Lächeln. Letzteres war am ehesten bei Frauen zu beobachten. Frauen waren auch immer kunstvoll frisiert und trugen ihre besten Gewänder, denn auf den großen Fototag bereitete man sich vor.
    Ich liebte die Atmosphäre, die von diesen Aufnahmen ausging, denn sie hatte so etwas Unschuldiges, Unverdorbenes. Kleine Jungs wurden, kaum einen Monat alt, in all ihrer Nacktheit fotografiert, damit man sich von ihrem Geschlecht gebührend überzeugen konnte. Auch jetzt, im Bademantel und mit dem Handtuch auf dem Kopf, tat es mir wieder gut, in dem Album zu blättern.
    Ich sah mir die Bilder von meiner armenischen Großmutter noch einmal genauer an. Ein kleines Foto von ihr, wie man es für Ausweise verwendet, nahm ich schließlich aus dem Album heraus. Ich fand ein ähnliches von meiner tatarischen Großmutter und legte die beiden nebeneinander. Zwei junge Frauen. Aus einer Schublade holte ich ein Ausweisfoto von mir selbst und legte es dazu. Dann kam mir ein Gedanke. Ich schnitt alle drei Fotos so zurecht, dass sie in ein Klarsichtfach meiner Brieftaschepassten. Für ein Foto war neben uns dreien noch Platz, und wenn ich Glück hatte, dann sollte auch der noch ausgefüllt werden, mit einem Foto von Nadja.
    Dann war ich mit den drei Frauen vereinigt, deren Leiden und Kämpfe ich fast am eigenen Leib spürte. Die Geschichte hatte die Hilfeschreie der drei Frauen erstickt, und bei mir hatte sie es zumindest versucht. Ich aber würde ihr unterdrücktes Rufen laut ertönen lassen. Ich war sowohl Maya als auch Ayşe, Mari und Nadja, von der ich noch nicht einmal ein Bild gesehen hatte. Ich war Muslimin, Jüdin und Katholikin. Auf einmal steckte ich voller Tatendrang. Vor mir sah ich einen zwar steinigen, aber hell erleuchteten Weg. Mir war, als würde ich aus einem Dornröschenschlaf erwachen.
    Um meine Pläne in die Tat umzusetzen, musste ich als Erstes Ahmet anrufen. Nach langem Suchen fand ich das Heft, in dem ich seine Festnetznummer notiert hatte. Ich ließ es lange läuten, aber niemand hob ab.
    So überwand ich mich und rief doch wieder auf dem Handy an. Falls seine Mutter ranging, würde ich es eben kurzhalten.
    Es war aber Ahmet selbst.
    »Hallo Ahmet, wie geht’s?«
    »Gut. Und dir?«
    Das klang zögerlicher und furchtsamer denn je. Es war nicht zu fassen. Ich hatte mich darauf eingestellt, mich nett mit ihm zu unterhalten und ihm dann zu erzählen, wie er mir bei meinen Plänen behilflich sein konnte.
    »Das war wirklich eine schöne Überraschung für mich. Ich danke dir.«
    »Bitte.«
    Ich wusste doch, wann er so redete: Wenn sein Vater in der Nähe war.
    »Wo bist du?«
    »Zu Hause. Bei meinen Eltern.«
    Wahrscheinlich war er sein Handy holen gegangen, in der Hoffnung, sein Vater sei gerade nicht daheim, und als der alte Tyrann dann doch da war, hatte Ahmet die alte Panik gepackt.
    »Hör mal zu«, sagte ich, »ich muss mit dir reden.«
    »Wann?«
    »Treffen wir uns um elf im S-Café .«
    »Aber meine Arbeit …«
    »Hör mir bloß auf mit deiner Arbeit!«, rief ich. Davon redete er nur, weil sein Vater neben ihm stand. »Es geht um meine Existenz. Um elf bist du dort.«
    Ich wusste, dass er kommen würde, denn ich kannte ihn gut genug. Er hatte wieder auf Angst- und Zweifelmodus umgeschaltet. Ich hätte ihn auch zu mir nach Hause bestellen können, aber das wollte ich nicht.
    Dann rief ich Tarık an.
    »Na?«, sagte er. »War es recht so?«
    »Und ob. Noch lieber wäre mir gewesen, sie hätten bei mir angerufen, anstatt sich meine Worte aus den Fingern zu saugen.«
    »Mensch, du bist auch nie zufrieden.«
    »Ja, schon gut, ich bin bin dir sehr, sehr dankbar. Du hast mir ganz schön aus der Patsche geholfen. Da ist noch was, ich müsste heute von meinem Geld was abheben.«
    »Wann du

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