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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
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aus dem Waisenhaus heraus adoptiert hatte. Sie war dann als Tochter dieser Familie aufgewachsen und hatte später meinen Großvater geheiratet.
    »Und wusste Opa, dass du Armenierin warst?«
    Da stand zum ersten Mal wieder ein leises Lächeln in ihrem Gesicht.
    »Ja. Wie hätte er es auch nicht wissen sollen, in meinem Ausweis stand ja ›Konvertitin‹.«
    »Und bist du das wirklich?«
    »Es hat mich keiner danach gefragt. Ich bin als Christin geboren und habe als Muslimin gelebt.«
    »Du verrichtest doch die islamischen Gebete, und im Ramadan fastest du.«
    »Betet nicht jeder zum gleichen Gott, ob in der Kirche oder in der Moschee? Was macht das schon für einen Unterschied?«
    Danach habe ich mit meiner Großmutter nie wieder über dieses Thema gesprochen. Sie rief mich lediglich am folgenden Tag, als wir im Zimmer wieder alleine waren, zu sich und übergab mir einen Schlüssel.
    »Der gehört zu der Schublade in meinem Schrank«, sagte sie. »Sperr sie auf, da ist ein Geschenk für dich drin. Bevor meine Mutter wegmusste, hat sie mir das in die Hand gedrückt, und ich habe mein Leben lang darum gekämpft, es niemandem zeigen zu müssen. Es soll dir ein Andenken an deine Vorfahren sein.«
    Eine Woche später starb sie in dem Krankenhaus an Herzversagen.
    Bei der Begräbnisfeier stellte der Imam die rituelle Frage: »Wie war die Verstorbene?«, und es scholl ihm die traditionelle Antwort »Sie war gut!« entgegen.
    Als ich die Schublade meiner Großmutter aufsperrte, fand ichdie Halskette. In der gleichen Schatulle waren auch ein alter Personalausweis und ein kleines, etwas verrostetes Kreuz mit Edelsteinbesatz, das ich polierte und dann aufhob.
    Da meine Großmutter ihr Geheimnis niemandem erzählt hatte, hielt ich es damit auch so, mit einer Ausnahme. Ich berichtete meinem Bruder davon, und der wollte mir zuerst nicht glauben. Als ich ihm den Personalausweis mit dem Vermerk »Konvertitin« zeigte, war er nicht nur überrascht, sondern auch wütend. Und er sagte einen Satz, der unsere Beziehung nachhaltig belasten sollte.
    »Dann ist unser Blut also auch schmutzig.«
    »Was redest du da? Oma, Papa, du, ich, das ist einfach unsere Familie. Was heißt da schmutziges Blut?«
    »Und wie viele türkische Diplomaten sind von der ASALA umgebracht worden? Liest du gar nicht Zeitung? Alle Armenier der Welt führen Krieg gegen uns.«
    »Was soll Oma mit Terroristen zu tun haben?«
    »Oma meine ich damit nicht.«
    »Sie war aber Armenierin, also sind wir es zum Teil auch, das muss jetzt rein in deinen Schädel.«
    »Pass auf«, sagte er, »tu mir nur den Gefallen und sag niemandem was davon. Kein Sterbenswörtchen. Wenn herauskommt, dass ich armenisches Blut in den Adern habe, kann ich meine Karriere hier vergessen. Dann werde ich nie zum General befördert, ja die schicken mich vielleicht als Major in den Ruhestand. Oder hast du schon mal was von einem armenischstämmigen General gehört?«
    »Wenn du das mit dem schmutzigen Blut zurücknimmst, dann halte ich den Mund.«
    Darauf ging er ein. Und abgesehen von ein paar Anlässen wie seiner Hochzeit und der Beschneidung seines Sohnes haben wir uns seither kaum mehr gesehen. Als er zum Oberst befördert wurde, besuchte ich ihn in seinem neuen Haus. Er benahm sich dabei so, als könne er sich an unsere Unterhaltung von damals nicht mehr erinnern, und vielleicht hatte er sie tatsächlich vergessen.
    Und nun die Geschichte mit den Männern vom Nachrichtendienst… Ganz offensichtlich wussten also noch andere Menschen Bescheid. Ich verspürte plötzlich eine furchtbare innere Unruhe. Oder vielmehr wusste ich auf einmal, worauf meine schon vorhandene Unruhe zurückzuführen war. Nicht auf den Professor, sondern auf die drei Männer, die uns verfolgt und mich bedroht hatten. Vor allem den Schlanken mit seinem Wolfsgrinsen konnte ich nicht vergessen. Wenn sie schon von mir wussten, dann bestimmt auch von Necdet. Und dennoch hatten sie ihn nicht behelligt. Schließlich war er Oberst geworden und stand kurz vor der Beförderung zum General, und nach allem, was ich gehört hatte, standen ihm beim militärischen Nachrichtendienst alle Wege offen. Davon war jedoch nur immer im Flüsterton die Rede.
    Da ließ mich der Wecker hochschrecken. Es war drei Uhr. So leise wie möglich machte ich mich fertig. Kerem war wieder mal vor dem Computer eingeschlafen. Er merkte gar nicht, wie ich ihn ins Bett hinüberhievte und ihm noch einen Kuss auf die Stirn drückte.
    Auf dem Computerbildschirm

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