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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
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die Stewardessen in ihren noch immer tadellosen Uniformen.
    Solange nichts passiert, begreifen die Menschen das nicht und merken nicht, wie jede Art von Reise sie miteinander verbindet. Das mag nun alles recht seltsam klingen, doch bitte ich um etwas Geduld; ich werde darauf später zurückkommen und dann erläutern, was ich damit meine.
    Nach meiner Flugzeugrunde werde ich nun doch versuchen,ein wenig zu schlafen. Ich werde all meine Kraft brauchen, um meine Erinnerungen zu ordnen und den Ablauf der Ereignisse richtig darzustellen. Es wird mir guttun, wenigstens eine halbe Stunde lang die Augen zu schließen.
    Bevor ich aber meinen Laptop zuklappe, muss ich noch ein, zwei Absätze schreiben, damit danach der Einstieg ins nächste Kapitel schon gemacht ist.
    Verbissen schweigend lenkte Süleyman den Mercedes durch die leeren Straßen Istanbuls. Um genau 3.52 Uhr kamen wir vor dem Pera Palace an.
    Der Professor stand schon im schwarzen Mantel in der Lobby. Er lüpfte wieder seinen Filzhut und begrüßte mich mit sehr ernstem Gesicht.
    »Good morning.«
    Auf dem Tisch neben ihm lag der schwarze Geigenkasten und daneben noch etwas, das sich zu so früher Stunde in einer Hotellobby äußerst seltsam ausnahm, nämlich ein kleiner, aus weißen Blumen geflochtener Trauerkranz. Auf der Schleife stand auf Deutsch »Für Nadja« .
    Wir stiegen ins Auto. Es irritierte mich, wie ernst der Professor dreinschaute, und dass er mich kaum beachtete. Ein wenig war ich ihm sogar böse deswegen. Zuerst Süleyman und jetzt auch noch der Professor. Die Widrigkeiten häuften sich an diesem Morgen.
    »Wohin fahren wir, Professor Wagner?«, fragte ich kühl.
    »Nach Şile.«
    »Wie bitte?«, fragte ich verdutzt.
    »Nach Şile.«
    Entweder ich hatte mich verhört, oder der Professor hatte etwas verwechselt.
    »Professor Wagner, Şile liegt am Schwarzen Meer. Wissen Sie das?«
    »Ja.«
    »Und da wollen Sie jetzt hin?«
    »Ja, bitte.«
    »Morgens um vier, mitten im Winter?«
    »Ja, ich will nach Şile. Wir haben doch von den neuen Bosporus-Brücken geredet, über eine von denen fahren wir jetzt auf die asiatische Seite hinüber, und in Şile zeige ich Ihnen dann was. Sonst noch Fragen?«
    »Nein.«
    Zu Süleyman, der sich umgedreht hatte, um zu begreifen, was los war, sagte ich: »Er will nach Şile.«
    »Was?«
    »Sie haben ganz richtig gehört, also los. An diesem herrlichen Februarmorgen fahren wir ans Meer. Nur schade, dass wir unsere Badesachen nicht dabeihaben.«
    So machten wir uns auf den Weg, zuerst in Richtung Ankara. Auf der Autobahn waren nur Lastwagen unterwegs, und als wir von dort nach Şile abbogen, hatten wir die Straße ganz für uns allein.
    Niemand im Auto sagte etwas. Einer so missmutig wie der andere waren wir alle drei in unsere Mäntel vergraben.
    Nach Şile war ich zwei Mal mit Ahmet gefahren. Mit seinem Fischerhafen, seinen Restaurants und dem endlosen Sandstrand hätte das Städtchen eigentlich traumhaft sein müssen, aber dem war nicht so. Irgendetwas passte dort nicht. Ich weiß nicht, ob es an den unfreundlichen Leuten in den Geschäften lag oder daran, dass der Ort an sich ja eher unansehnlich ist, jedenfalls hatte ich mir geschworen, nie wieder dorthin zu fahren.
    Beim zweiten Mal hatte ich mit Ahmet auch ziemlich heftig gestritten. Wir hatten am Hafen Fisch gegessen und dazu Wein getrunken. Es war ein einfaches Gasthaus gewesen, mit lauter verfetteten Ehepaaren, wie sie sonntags oft die Ausflugslokale bevölkern, er und sie im gleichen Trainingsanzug, stets bemüht, auch allen zu zeigen, wie sehr sie sich doch amüsieren. Sogar die Art, wie sie beim Zuprosten die Rakigläser aneinanderschlugen, hatte noch etwas Ordinäres an sich. Und wie immer, wenn ich tagsüber trinke, hatte ich Migräne bekommen.
    Wenn es mir dort schon im Sommer nicht gefallen hatte, wie musste es da erst im Winter sein? Sowieso war das SchwarzeMeer gefährlich. Jeden Sommer ertranken dort Badende, weil es ihnen auf einmal den Sand unter den Füßen wegzog.
    Wollte der Professor sich etwa mit jemandem treffen? Auf der gegenüberliegenden Seite lag Russland, und wären wir noch im Kalten Krieg gewesen, hätte man sich alles Mögliche vorstellen können.
    Linken Lehrern konnte damals schon zum Verhängnis werden, dass sie ein Transistorradio besaßen, denn auf den bloßen Verdacht hin, mit den Russen zu kommunizieren, konnte man schnell im Gefängnis landen. Am Schwarzen Meer waren auch riesige Radaranlagen der NATO gelegen, und in aufs Meer

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