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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
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hinausgehenden Bunkern waren U-Boote stationiert.
    Ich schloss die Augen. Wieder dachte ich an den Spruch meiner Großmutter: »Hüte dich vor den Menschen!«
    Zwei Stunden lang wurden wir im Auto hin und her geschüttelt, dann begann vor Şile ein bleierner Morgen zu grauen.

6
    Auch ohne Heizung war uns inzwischen nicht mehr so kalt. Irgendwann zog der Professor eine Landkarte aus der Tasche. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass darauf etwas eingezeichnet war. Er studierte die Karte und sagte dann: »Können wir bitte langsamer fahren?«
    Ich sagte Süleyman Bescheid. Wir befanden uns auf einer engen Straße in einem Waldstück. Der Professor suchte irgendetwas auf der linken Seite.
    »Könnten wir bitte ein Stück zurücksetzen?«, bat er.
    Wir fuhren an die hundert, hundertfünfzig Meter rückwärts, bis zu einer Abzweigung, einem einfachen Weg, der leicht aufwärts führte. Diesen Weg wollte der Professor entlang.
    »Fahren wir denn nicht nach Şile?«, fragte ich.
    »Nein, an einen Ort in der Nähe von Şile.«
    Jetzt wurde mir die Sache unheimlich. In was für eine gottverlassene Ecke wollte er denn? Und wieso kannte er sich überhaupt hier aus? Gut, dass Süleyman dabei war. Der war mir zwar böse, würde aber trotzdem auf mich aufpassen.
    Der Professor war so sehr in seine eigene Welt versunken, dass er gar nicht mitbekam, wie beunruhigt ich war. Wenn ich zu ihm hinüberblickte und sein ebenmäßiges Profil, seine kleine, etwas nach oben stehende Nase und das feine Kinn betrachtete, dann dachte ich mir jedes Mal: Der Mann würde ganz bestimmt nichts Böses tun, aber die Angelegenheit nahm eben einen immer vertrackteren Verlauf.
    Zwischen uns beiden lagen der Geigenkasten und der Kranz. Damit war es ja auch seltsam. Ich las noch einmal die Aufschrift auf der Schleife. »Für Nadja« .
    Ich hatte schon mehrfach kontrolliert, ob uns nicht jemandfolgte, aber das war ganz offensichtlich nicht der Fall. Dergleichen war wohl nicht mehr nötig, seit sie mit der Überwachung des Professors gerade mich beauftragt hatten.
    Nach einer Weile erreichten wir einen baumlosen Hügel, von dem auf einmal das Meer zu sehen war, das wild und schäumend an die schwarzen Felsen drunten schlug. Der Weg, der zum Strand hinunterführte, wurde nun sandig und steinig.
    Himmel und Meer gingen grau ineinander über. Mir schauerte allein schon von dem Anblick.
    Der Professor starrte auf den Sand. Er war wie in Trance und hätte wohl nicht einmal wahrgenommen, wenn ich ihn angesprochen hätte. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er etwas zu erkennen.
    Wir waren nur mehr zwanzig Meter vom Meer entfernt, und der Weg endete hier. Der Strand war öde und leer, nur linker Hand stand auf einer kleinen Anhöhe ein zweistöckiges, unverputztes Ziegelhaus.
    Eigentlich sah es eher aus wie unfertiger Rohbau. Das Erdgeschoss mit dem großen Glasfenster wurde vermutlich als Kaffeehaus genützt. Bei näherem Hinsehen bemerkte ich ein Schild, auf dem Black Sea Motel stand. Wer wollte denn in so einem Motel absteigen? Höchstens jemand, der etwas Abgelegenes suchte, um mit seiner Geliebten ein ungestörtes Wochenende zu verbringen. Aber wohl auch nicht um diese Jahreszeit.
    Der Professor nahm seine Geige und den Kranz an sich. Er wirkte verunsichert. Durch die Heckscheibe sah er zu dem Hügel zurück, über den wir gekommen waren.
    »Könnten wir da wieder hochfahren?«
    Knurrend legte Süleyman den Rückwärtsgang ein. Doch als er sich zu dem Manöver umdrehte, blieb auf einmal der Motor stehen. Wütend versuchte er, ihn wieder in Gang zu bekommen, aber vergeblich. Drei, vier Mal probierte er es, nichts zu machen. Wir sahen uns alle an. Noch ein letzter Versuch. Der Wagen sprang an.
    Wir hatten gerade die Hälfte des Weges bis zum Hügel hinauf zurückgelegt, als der Professor wieder um einen Halt bat. Wirsahen ihn fragend an. Sogar Süleyman drehte sich nun neugierig zu ihm um und sah ihm in die Augen.
    »Ich muss Sie jetzt bitten, mich ein wenig allein zu lassen«, sagte der Professor. »Fahren Sie bitte über den Hügel und warten Sie dort auf mich, ich komme nach.«
    »Und dann?«
    »Dann … Nun ja, dann fahren wir zurück.«
    Mit Geige und Kranz stieg er aus und blieb zunächst neben dem Auto stehen, in das eisig der Wind fuhr. Wir sollten uns anscheinend so schnell wie möglich entfernen. Süleyman drückte denn auch beim Wegfahren ordentlich aufs Gaspedal, aus Verärgerung wohl, oder auch, um den Motor nicht noch einmal absterben zu

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