Serum
waren.«
In gewisser Weise war ich Eisner dafür dankbar, denn der Zorn vertrieb meine Angst.
»Kim, hast du Gabrielle Dwyers Telefonnummer?«
Es gab eine kurze Pause, und ihre Stimme wurde kühler. »Warum?«
Ich erklärte ihr, dass ich mit Gabrielle verabredet gewesen war, um über Dwyer zu sprechen.
»Sie trägt einen tollen Zopf«, sagte Kim trügerisch sanft – in diesem Tonfall, wie ihn nur Frauen beherrschen. »Daher auch ihr Spitzname bei den Sekretärinnen. Nase hoch. Rücken gerade. Prinzessin Zopf.«
»Wie gesagt, es war geschäftlich.« Kim gab mir die Nummer. Dann fügte sie leicht zerknirscht hinzu: »Hast du schon gegessen? Ich habe Zitronenpasta gekocht. Es ist noch eine Menge übrig.«
Bei Gabrielle meldete sich nur der Anrufbeantworter. »Tut mir leid, dass ich nicht kommen konnte. Es gab einen Zusammenstoß mit dem militärischen Geheimdienst …«, begann ich.
Dann hörte ich ein Klicken und ihre reale Stimme.
»Wegen meines Vaters?«
»Es geht um seinen Tod.«
»Ich verstehe nicht. Der militärische Geheimdienst?« Sie klang betroffen. Besorgt.
»Ich auch nicht. Ebenso wenig, warum die Armee den Schutz eines unserer Labors bei Washington übernommen hat.«
Im Hintergrund hörte ich kühle Saxophonklänge. Coltranes »You Are So Beautiful«. Ich stellte mir Gabrielle auf einer Couch vor, barfuß, im Morgenmantel. Gedämpftes Licht. Das schwarze Haar fiel ihr locker über die Schultern und umrahmte ihr Gesicht, hob und senkte sich über der Rundung ihrer Brüste.
Plötzlich konnte ich ihr Parfüm im Taxi riechen.
»Wie wäre es morgen mit Frühstück?«, fragte sie.
»Gerne.«
»Um neun?« Sie gab mir eine Adresse im East Village. »Mögen Sie Bagels und Rührei, Mike?«
»Klar.«
»Mit Zwiebeln und Cheddar? Kaffee? Orangensaft?«
Ich war überrascht, dass sie so zuvorkommend war, ganz anders als gestern. Sie machte sich Sorgen.
»Ich bringe etwas Süßes mit«, meinte ich.
Als ich auflegte, fühlte sich das Telefon in meiner Hand warm und lebendig an. Ich bemerkte den Blick des Taxifahrers im Rückspiegel. Irgendetwas an meiner Stimme musste ihm aufgefallen sein.
Seine Augen glitten zurück zur Straße. Aber er lächelte. Er hatte gerade die Stimme eines Mannes gehört, der sich vorstellte, eine Frau in seinen Armen zu halten.
Plötzlich schaltete sich mein Selbsterhaltungstrieb wieder ein, und ich sagte dem Fahrer, dass ich meine Meinung geändert hätte. Eisners Leute wussten, wo mein BMW stand, also würde ich ihn lassen, wo er war, und auch nicht nach Hause gehen.
Ich bat den Fahrer, Richtung City Hall zu fahren.
Biegen Sie hier links ab, da rechts, wechseln Sie jetzt die Spur. Es schien uns niemand zu folgen, aber vielleicht waren sie auch nur sehr gut.
Ich ließ mich in der Nähe der Brooklyn Bridge absetzen, vier Blocks entfernt von Kims Apartment.
»Schöner Spaziergang zu den Heights«, meinte ich noch. Ich ging auf die Brücke zu und vergewisserte mich, dass ich allein war.
Erst als das Taxi um die Ecke gebogen war, zählte ich bis zwanzig, kehrte um und ging Richtung Westen. Niemand folgte mir.
Kim Pendergraph war beim Kauf ihres Lofts in Tribeca vorgegangen wie bei allem: vernünftig. So traf sie ihre Entscheidungen, seit sie mit neunzehn Jahren ledige Mutter geworden war. Die 150 Quadratmeter Wohnfläche in der Reade Street hatte sie zu einem Insiderpreis bekommen und sich das nötige Geld zinsfrei vom Vorsitzenden geliehen.
Beim Eintreffen zuckte ich zusammen, denn im zurückgesetzten Eingang einer Pizzeria gegenüber erblickte ich eine breitschultrige Silhouette. Dann winkte eine Hand aus dem Schatten. Ein Gesicht schob sich ins Licht.
Es war nur der Posten, den ich zu Kims Schutz abgestellt hatte.
Ein altmodischer Käfigaufzug trug mich in den dritten Stock und brachte mich direkt in ihre Wohnung. Es war ein hohes Loft mit Blechdach, poliertem Kiefernholzboden, falschen dorischen Säulen und einer ganzen Wand aus drahtverstärktem Glas, die auf den Dachgarten eines Penthauses in der umgebauten Gewürzfabrik gegenüber blickte.
»Du wirkst angepisst, Boss«, begrüßte mich Danny.
Kim hatte kleinere »Räume« aus der großen Fläche herausgearbeitet, indem sie die Möbel entsprechend arrangierte. Zwei braune Ledersofas schlossen einen Kaffeetisch aus Kiefernholz ein, auf dem sich Atlantic- und Time-Magazine stapelten. Bunte Webteppiche aus den Appalachen gliederten den Fußboden. Drei bequem wirkende Sessel standen in einer Ecke, wo auf
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