Serum
vorbei, unterbrochen von Schnellimbissen und Läden.
Es waren etwa drei Kilometer nach Garrison Bight, aber die Blocks schienen länger zu sein, als ich sie in Erinnerung hatte. Ich hörte eine Sirene und entdeckte ein rotes Licht im Rückspiegel. Mit hämmerndem Puls zog ich nach rechts, und ein Rettungswagen zischte wie ein weißer Blitz vorbei. Kurz darauf hielt neben mir an der Ampel ein Bus voller Kinder, und ein Dutzend kleiner Gesichter starrte mich an. Die Kinder schrien und deuteten, bliesen die Backen auf, schnitten Grimassen. Der Fahrer warf mir einen Blick zu und zuckte die Achseln, als wollte er sich für ihr Benehmen entschuldigen.
Dann verwandelte sich sein Lächeln in ein Stirnrunzeln. Die Ampel schaltete auf Grün, und ich fuhr davon.
Beim Patriot’s-Plaza-Einkaufszentrum hielt ich an und betrat Boog’s Sporting Goods, ein Sportgeschäft. Ich wählte eine Angelrute und einen Zubehörkoffer, ein paar Köder und zusätzliche Schnur. Ich konnte ja schlecht ohne Ausrüstung am Kai auftauchen und den Angler mimen.
Mein Handy zirpte, als ich die Key West Citizen von einem Ständer in der Nähe der Kasse nahm und mich anstellte. Die Rufnummernanzeige sagte mir, dass Gabrielle Dwyer am Apparat war.
Ich klappte das Gerät auf, um den Anruf anzunehmen, aber ein plötzlicher, übermächtiger Gedanke – fast ein Schrei in meinem Kopf – riss mich fast körperlich zurück.
Dieser Mann ist ein Dieb.
Die Worte – es waren weniger Worte als ein todsicheres Gefühl – überfielen mich mit solcher Wucht, dass mein Kopf verblüfft herumschnellte.
Hinter mir stellte sich gerade ein Mann an, ein kleiner, dürrer Kerl in einem Basketballtrikot der Bulls, mit verblichenen, fleckigen Jeans und knöchelhohen Turnschuhen. Er hielt eine Publix-Einkaufstüte in der einen und einen neuen Baseball in der anderen Hand. Unsere Blicke trafen sich, und er musste etwas gesehen haben, das ihm nicht gefiel, denn er runzelte die Stirn und legte den Kopf schief.
Dann trat er unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Und wandte den Blick ab.
Was zum Teufel war da gerade passiert?
Gleich darauf wandte der Mann sich angelegentlich ab und ging zurück zwischen die Regalreihen. Ich folgte seinen Bewegungen im Sicherheitsspiegel über der Kasse.
Ganz hinten im Laden, vor einem Regal mit besonders teuren Angelrollen, blieb er stehen. Er hob den Blick zum Spiegel und sah, dass ich ihn beobachtete. Dann griff er in die Einkaufstüte und legte die Rolle, die er stehlen wollte, an ihren Platz zurück.
Ach, du grüne Neune, dachte ich verblüfft.
»Das wären dann hundertachtzehn Dollar«, meinte der Kassierer lächelnd zu mir.
Ich muss aus dem Augenwinkel beobachtet haben, wie er die Angelrolle einsteckte. Weil ich abgelenkt war, hat es eine Weile gedauert, bis ich es registrierte, dachte ich.
Der Mann im Basketballtrikot hastete aus dem Laden. Er blickte ängstlich zu mir zurück, während sich die Tür hinter ihm schloss.
»Hier, Ihr Wechselgeld«, meinte der Kassierer. »Wie ich höre, ziehen die Tarpunschwärme gerade durch. Viel Glück!«
Woher wusste ich, dass er etwas gestohlen hatte?
»Glück kann man immer gebrauchen«, erwiderte ich.
Ich ging zurück zum Auto. Mein Herz schlug einen Trommelwirbel, und mein Kopfschmerz war zu einem dumpfen, gleichmäßigen Pochen verblasst.
Vielleicht war es die Art, wie er ging oder wie er in seine Einkaufstüte schaute, die meine Intuition wachrief. Sicher. Das muss es gewesen sein. Nicht die Droge.
Ich schlug die Zeitung auf und brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, dass mein Phantombild die Titelseite zierte.
Polizei sucht Killer in Key West.
Es sah mir nicht unähnlich, aber auch nicht besonders ähnlich. Was mir schon immer an Polizeizeichnungen aufgefallen ist, ist die Bedrohlichkeit, die der Künstler hineinlegt – dichte Brauen, stechender Blick, wilder Ausdruck. Niemand sieht so aus, als wäre er unterwegs zu einer Party. Oder als würde er gerade seinem Nachbarn einen Gefallen tun und ihm den Rasen mähen, was – geben Sie’s zu – auch abgebrühte Mörder tun.
Nein. Die Zeichnungen zeigen immer Leute, die ihre Schuld geradezu in die Welt hinausposaunen.
Meine Gesichtsform stimmte halbwegs, der Augenabstand, die hohe Stirn und das kräftige Kinn passten in etwa zur Form des Bartes, den ich mir abgeschnitten hatte. Aber die Haare wirkten dünner und glatter, wahrscheinlich weil das Pärchen auf dem Boot mich im Regen gesehen hatte. Und die Augen hatten
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