Serum

Schweißperlen zählen konnte. »Der Bruder des Fährmanns war im World Trade Center, als das erste Flugzeug einschlug. CBS hat ihn wieder und wieder gezeigt, wie er brennend aus einem Fenster sprang. Wenn ich also einen verräterischen Araberfreund wie dich in die Finger kriege, dann nehme ich ihn gerne mit ins Boot.«
    Ich wollte lieber nicht wissen, was Boot in diesem Zusammenhang bedeutete. Meine Atmung normalisierte sich langsam wieder. Ich spürte immer noch Nachbeben des Stromschlags in meiner Herzgegend, wie sprühende Funken in den Adern.
    Der dünne Mann stieg neben mir ein und befahl mir, den Kopf abzuwenden. »Schau aus dem Fenster.«
    »Darf ich eine Frage stellen?«
    Es wurde dunkel, als er mir die Augen verband.
    »Nein. Alle an Bord«, sagte die Stimme des Schwarzen. »Du sitzt jetzt in meinem Boot.«
     
    Sie stellten eine Talkshow im Radio ein, sprachen wenig und grunzten gelegentlich anerkennend, wenn ein Anrufer – und es gab viele davon – gegen den zurückgetretenen Präsidenten, die Vereinten Nationen und die protestierenden Studenten wetterte, die letzte Nacht in Boston mit Tränengas traktiert worden waren. Der Talkmaster gab eine aktuelle Meldung durch. Mittels erstklassiger Geheimdienstarbeit sei es gelungen, ein terroristisches Netzwerk zur Geldwäsche auf den Bahamas zu sprengen und alle Konten des Feindes zu beschlagnahmen. Großartiger Sieg! Kolossaler Coup! Man hatte die Geldströme, die für Bombenanschläge bestimmt gewesen waren, zu Quellen in Wien und Islamabad zurückverfolgt.
    »Gott segne unsere Geheimdienste«, sagte der Talkmaster.
    »Denk an meinen brennenden Bruder«, kam die Stimme des Schwarzen vom Vordersitz.
    Ich weiß nicht, wie lange die Fahrt dauerte. Es kam mir wie Stunden vor, aber die Zeit zieht sich in die Länge, wenn einem die Augen verbunden sind. Die Werbeblöcke im Radio begannen sich zu wiederholen. Viele davon machten Reklame für Paranoia-Produkte: Notstromaggregate, falls einen ein Hurrikan traf, Alarmanlagen gegen Einbrecher, Computersicherheitstechnik, Gasmasken, Erste-Hilfe-Produkte, Tabletten zum Wasserentkeimen.
    »Wenn ein Angestellter nichts zu verbergen hat«, fragte ein Anrufer, »warum sollte er dann etwas gegen regelmäßige Lügendetektortests haben, mit denen die faulen Eier aussortiert werden?«
    Ich blendete die Stimmen aus dem Radio aus und versuchte, mich an irgendwelche Dellen oder besonderen Kennzeichen des LTD zu erinnern. Hatte die Fahrerin etwas gesagt, so dass ich ihren Akzent identifizieren konnte? Nein. Ich prägte mir das grün-schwarz karierte Muster der Sitzpolster ein, da ich wusste, dass Bundesbehörden oft eigene Fahrzeugausstattungen haben. Vielleicht konnte ich später, falls sich die Chance ergab, das Muster mit einer speziellen Auftragsnummer in Verbindung bringen.
    Versuchen Sie, im Entführungsfall immer optimistisch zu bleiben, pflegten meine FBI-Ausbilder zu sagen.
    Der Verkehrslärm des Highways wich dem rauen, monotonen Dröhnen der Reifen auf schlechtasphaltierten Straßen. Wir wurden langsamer, dann bog der Wagen scharf nach links ab, und ich wurde gegen den dünnen Mann geworfen. Es schien sich um einen holprigen Feldweg zu handeln.
    Durch den Wald. Einsame Wälder.
    Wir sind keine Mörder, hatte Schwadron behauptet. Aber er hatte eine Menge Lügen erzählt.
    Der Wagen hielt so abrupt an, dass ich nach vorne geschleudert wurde. Das Radio verstummte, und ich hörte den elektrischen Fensterheber. Ein Schwall heißer Sommerluft drang herein. Die Vordertür knallte zu, und der Wagen hob sich in den Federn. Jemand war ausgestiegen. Das tschopp-tschopp eines Hubschraubers wurde laut. Im Luftstrom lag der durchdringende Geruch nach Treibstoff.
    Ich versuchte, meine Angst zu unterdrücken. Wollten sie mich mit dem Hubschrauber abtransportieren?
    Dicht neben meinem Ohr sagte die Stimme des Schwarzen: »Ich kannte da mal einen Typen, du Kameltreiber. Einen von Saddams Hubschrauberpiloten. Ich hatte ihn in meinem Boot, verstehst du? Wir haben viel miteinander geredet. Er erzählte mir von einem von Saddams liebsten Hobbys. Weißt du, was das war?«
    Ich roch Pfefferminzpastillen, Rasierwasser und Schweiß. Sein Schweigen sagte mir, dass diesmal eine Antwort von mir erwartet wurde.
    »Was war es?«
    »Feinde im Hubschrauber mitzunehmen, über Wasser. Ihnen eine Frage zu stellen, und wenn die Antwort falsch war, raus mit ihnen. Man konnte sie lange Zeit fallen sehen.«
    »Und wenn die Antwort richtig war?«
    »Tja, du