Serum
zum Bett den Weg. Mein Gleichgewichtssinn war gestört. Etwas Weiches und Lebendiges huschte über meinen nackten Fuß. Ich fiel hin und versuchte, mich mit ausgestreckten Armen abzufangen. Schmerz explodierte in meinen Handgelenken. Schwer atmend lag ich auf dem Boden, bis ich etwas Warmes über mein Bein laufen spürte. Nur Zentimeter vor mir, auf meiner Brust, sah ich zwei körperlose rote Punkte im Dunkeln.
Habe ich Halluzinationen?
Das Bellen im Korridor kam näher.
War ich schon länger als einen Tag hier?
Die Worte des Schwarzen fielen mir wieder ein.
Er hatte mich zur Hölle übergesetzt.
Die Nacht wurde zum Tag, und Tage dauerten nur Minuten. Ich hörte den Moslem beten. Ich hörte eine Frau schreien. Ich hörte ein Rudel bellender Hunde. Das Sichtloch an meiner Tür glitt auf, und ich wusste, dass jemand mich anstarrte, konnte aber selbst niemanden sehen. In meinem Spinat waren Rattenspuren.
Als das Licht das nächste Mal anging, machte die Ratte sich gar nicht mehr die Mühe, fortzulaufen. Sie blieb sitzen und starrte mich an – hinterhältig, dreist, einsam, furchtlos.
»Wo ist die Disk, Mike?«
»Ich sage doch, ich weiß es nicht.«
»Haben Sie Asa Rodriguez getötet, weil Sie Streit mit ihm hatten? Wollten Sie die Disk gemeinsam verkaufen?«
»Warum hören Sie mir nicht zu? Ich habe nie mit ihm gesprochen.«
»Wo sind Ihre Freunde, Mike? Sagen Sie uns, wo sie sind. Sie sind doch nicht einfach verschwunden.«
Sag nichts von Dannys Cousins.
»Ich will einen Anwalt.«
Nachdem das Gelächter verstummt war, sagte der dünne Mann: »Ich bin Anwalt. Ihr Anwalt. Sind Ihre Freunde noch in New York?«
»Ich muss schlafen.«
»Wo ist Danny Whiteagle? Wo ist Kim Pendergraph? Wie konnte Gabrielle Dwyer rechtzeitig von der Party flüchten?«
»Sie ist entkommen?« Ich fühlte einen kurzen Anflug von Überschwang. Vielleicht hat sie sie kommen sehen und sich ins Unterholz geschlagen. Und dann begriff ich etwas. »Sie sind nicht auf 109«, sagte ich zu dem blassen Mann. »Warum nicht? Wenn ich so wichtig bin, warum hat man Ihnen nicht die Droge gegeben, um mich zu verhören?«
Der Schwarze ergriff das Wort. »Eine wahrheitsgemäße Antwort, Mike. Nur eine. Ein wahre Antwort, und du darfst ins Bett gehen und schlafen, so lange du möchtest. Also sag’s uns. Ist Danny Whiteagle in Washington?«
Hoffnung stieg in mir auf. »Schwadron hat gelogen, nicht wahr? Sie können die Droge nicht synthetisieren. Ihr Vorrat geht zur Neige! Das ist es, oder? Sie haben nichts mehr!«
»Zurück in die Zelle mit ihm«, sagte der Schwarze angewidert.
Ich schob die panierte Hühnerbrust zurück, doch dann übermannte mich der Hunger. Ich kroch zurück und aß noch ein paar Bissen. Das salzige Fleisch machte mich durstig. Ich trank das ganze Wasser aus der Plastikflasche und spürte einen metallischen Nachgeschmack in der Kehle. Wie Kupfermünzen. Rost.
Ich pflanzte Tomaten im Garten. Mit den Händen hob ich Pflanzlöcher aus und roch den Lehm an meinen Fingern. Mit erdverschmierten Knien und Ellbogen setzte ich die jungen Tomaten ein, glättete die Erde und wässerte sie. Mein Sohn half mir dabei und brachte mir eine Schubkarre frische Erde.
Ich sah ihm ins Gesicht. Es war Chris, Kims Sohn.
»Du wolltest uns nicht«, sagte er. »Warum nicht?«
»Was, wenn du auch in einem Rollstuhl geendet hättest?«
Dann sah ich, dass es nicht mein Garten war, sondern der meines Vaters. Hinter Chris standen meine Eltern und sahen mich an. Die Hände meines Vaters umfassten die Griffe von Moms Rollstuhl. Er schien zufrieden, gesund, froh, mit ihr zusammen zu sein.
»Ich hatte Angst vor der Verpflichtung«, sagte ich.
Plötzlich war ich wieder ein Junge. Mein Vater sagte: »Liebe ist nicht Verpflichtung. Und die Verpflichtung, die mit der Liebe kommt, ist Gottes Geschenk, Mike. Sie hat ihren Sinn. James Dwyer war nicht dein Vater. Er war nur ein verängstigter alter Mann. Ist es das, was du werden willst?«
Dann unterbrach uns Chris. »Die Ratte beißt dir in den Knöchel.«
Das Traumbild löste sich auf. Die Ratte sprang vom Bett. Mein Knöchel blutete.
Corby und der dünne Mann starrten auf mich herab.
»Gute Neuigkeiten, Mike, Sie kommen hier raus. Unterschreiben Sie die Entlassungspapiere, dann können Sie nach Hause.«
Sie legten ein Schreibbrett aufs Bett und reichten mir einen Kuli.
Sie lächelten. Die Brutalitäten beim Verhör waren nur ein Missverständnis gewesen.
»Geben Sie mir Ihre
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