Settlers Creek
nicht darum. Im mannshohen Spiegel sah er sich nackt im kalten Neonlicht stehen. Sein Gesicht wirkte verkniffen, sah alt aus. Sein Penis war zusammengeschrumpft, die Hoden hatten sich in seinen Körper verkrochen, der einzige Teil von ihm, der soviel Vernunft besaß, ein warmes Plätzchen zu suchen. Mit großer Mühe zog Box die Sachen an, die er wahllos aus den Regalen genommen hatte. Es kümmerte ihn nicht, wie er aussah. Er hatte einfach das Erstbeste genommen, das ihm paßte und nicht teuer war. Billig aber war nichts. Er bezahlte mit Karte.
»Wie geht es hier? Alles in Ordnung?« Die hohe näselnde Stimme der Verkäuferin.
»Gut«, hatte er gemurmelt.
Jetzt saß er in einer Ecke der Cafeteria. Seine nassen Sachen steckten in einer Plastiktüte vor ihm auf dem Boden. Aus dem Lüftungsschlitz in der Decke über ihm kam warme Luft und traf auf seinen Kopf und seine Schultern. Es dauerte eine ganze Weile, bis ein Hauch dieser Wärme in seinem Inneren ankam. Sie breitete sich nur ganz allmählich in ihm aus, in seinen Armen und Schultern, und ganz zuletzt erreichte sie seine Füße. Das Zittern ließ nach und verschwand schließlich fast ganz.
Auf einem Tablett vor ihm standen eine große Tasse Kaffee und ein Schinkensandwich. Das Sandwich befand sich noch in der dreieckigen Plastikverpackung. Box nahm drei Päckchen Zucker aus einer Schale, riß sie auf und schüttete den Zucker in die Tasse. Die Vorliebe für süßen schwarzen Kaffee hatte er schon vor Jahren entwickelt, auf Baustellen, wo es keinen Kühlschrank gab, um Milch frischzuhalten. Er nippte an seinem Kaffee und starrte auf einen Flachbildschirm an der Wand. Ohne Ton lief dort ununterbrochen ein Werbevideo für Neuseeland. Eine lächelnde Blondine auf einer Skipiste verschmolz mit einem Paar, das in den heißen Quellen von Rotorua saß. Ein Maori-Versammlungshaus und davor eine Gruppe brauner tätowierter Gestalten, die einen Haka für Touristen aufführten. Später dann Asiaten in einem Motorboot, die die Hände hochhielten und tonlos vor Vergnügen schrien, als ihr Boot wie ein über das Wasser tanzender Kiesel zwischen hohen Felswänden einen Fluß hinabraste.
Sein Flug ging erst in drei Stunden. Genug Zeit, hier zu sitzen und langsam wahnsinnig zu werden. Er mußte an etwas anderes denken als an Mark, als daran, was geschehen war, was schiefgegangen war, was Liz und Heather gerade machten. Box stand mühsam auf und ging wieder zur Theke. Er kaufte bei derselben Frau, die ihn schon zuvor bedient hatte, eine Zeitung und kehrte mit noch immer steifen Knochen an seinen Tisch zurück.
Er versuchte zu lesen. Er begann einen Artikel, doch dann glitten seine Augen am Rand der Spalte ab, als wäre sie mit Schmierseife eingeschmiert. Nie war ihm bewußt gewesen, wie viele Tragödien und wieviel alltägliches Unglück eine Zeitung enthielt. Auf der ersten Seite stand eine Geschichte über einen Mann, der seine Frau totgeschlagen hatte und danach untergetaucht war. Seine beiden Kinder wurden von Nachbarn im Gartenschuppen gefunden, wo sie sich eng aneinandergepreßt versteckt hatten. Eine vierköpfige Familie war ums Leben gekommen, als ihr Mitsubishi Mirage in einen Langholztransporter raste. Ein vielversprechender junger Rugbyspieler war beim Surfen ertrunken, sein Leichnam wurde noch nicht gefunden.
»Um Gottes willen«, dachte Box, »und dabei bin ich erst auf Seite drei.«
Seine Hände hatten wieder zu zittern begonnen, die Zeitung schlug Wellen. Er faltete sie zusammen, legte sie auf den Tisch und ließ seinen Blick über die Cafeteria und das angrenzende offene Terminalgebäude wandern. Nicht viele Leute außer denen, die hier arbeiteten. Durch die Glasfassade konnte er die leere Start- und Landebahn sehen, naß, windgepeitscht, düster. In der Cafeteria gab es auch Bier. Box hatte die grünen und braunen Flaschen unten im Kühlregal gesehen, als er seinen Kaffee holte. Er ging noch einmal zur Theke und kaufte eine grüne Flasche Steinlager Pure. Sogar durch den Nebel in seinem Kopf hindurch registrierte Box den Preisaufschlag – das Bier kostete fast das Doppelte wie im Laden. Er schluckte, zückte dann aber doch wieder seine Visa-Karte.
Er trug die eiskalte Flasche zu seinem Platz zurück und trank langsam und genüßlich. Schließlich hatte er Zeit, er hatte nichts außer Zeit.
Als die Flasche leer war, stellte er sie neben sein immer noch unausgepacktes Sandwich. Er fühlte sich ein bißchen besser; ruhiger, eher in der Lage, dem
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