Setz dich über alles weg
bevor ich hierherzog — ich werde Ihnen natürlich nicht verraten, wie
das Krankenhaus hieß, aber es war eine furchtbare Sache!« Sie hörte zu stricken
auf und starrte zum Fenster hinaus. »Ganz furchtbar! Das arme kleine Mädel!«
»Erzählen Sie...!«
»O nein! Ich werde mich hüten! Sie
müssen nur an schöne Sachen denken. Das ist besser für Sie und für das Kind.«
Ich hätte buchstäblich schreien mögen.
Hol der Teufel die schönen Gedanken! Ich wollte Tatsachen! Ich versuchte, auf
einen anderen Knopf zu drücken. »Hatten Sie mit dem Fall zu tun, Mrs. Tripp?«
»Gewiß! Aber ich war nicht die
Diensttuende, sonst hätte ich’s nicht zugelassen.«
Ich verschränkte die Finger und machte
mich darauf gefaßt, den üblichen Krankenhaustratsch mit all seinen Vorurteilen
und Eifersüchteleien über mich ergehen zu lassen, nur um zu dem Kern der Sache
vorzudringen.
»Nein — die obergescheite Mrs. Hallett
war dran. Na, es war nicht schlimmer, als was in dem Buch steht, und es wird
nicht schaden, wenn Sie erfahren, was wirklich passieren kann.«
Während sie in den Anomalien blätterte,
erinnerte sie sich an alle möglichen Fälle von Wöchnerinnenkrämpfen. »Nie werde
ich dieses junge Ding vergessen — Haare wie gesponnenes Gold — natürlich mußte
man zwischen Kind und Mutter wählen, und es wäre für sie besser gewesen, wenn
man sie hätte sterben lassen. Damals hat man noch nicht die ganze Zeit
Bluttransfusionen gemacht...« Das Kind in mir strampelte heftig, und ich konnte
kaum Luft kriegen.
›Oh, warum habe ich mich je verlobt?‹
dachte ich verzweifelt, während’ ich mir die Nägel ins Fleisch bohrte. ›Warum
sagen mir Pete und Jim nicht die Wahrheit, statt so zu tun, als sei eine
Entbindung nicht schlimmer, als wenn man einen Splitter herausnimmt!‹
Gerade als ich wieder nach oben wankte,
begegnete ich Pete, der zum Lunch nach Hause kam. Er begrüßte mich gut gelaunt:
»Hallo, kleine Waldfee! Was schleichst denn du hier herum?«
Ich zeigte ihm die Medizinischen
Anomalien und fing zu heulen an. Er stieß einen tiefen Seufzer aus und legte
den Arm um meine Schulter. »Komm, gehen wir zu dir — dann machst du mir etwas
zu essen. Maggie ist in die Stadt gefahren, und ich bin ein paar Stunden frei.«
Ich wußte genau, daß er nicht einmal eine halbe Stunde frei hatte, aber ich war
zu verzweifelt, um auf seine Patienten Rücksicht zu nehmen.
Während ich leise schluchzend das Essen
zubereitete, beichtete ich ihm meine Nöte, erzählte ihm von den Befürchtungen
und Ängsten, die die dumme Lektüre und das Geschwätz der Leute heraufbeschworen
hatten. Vielleicht habe ich einen Flang zum Bizarren. Schließlich bin ich viele
Jahre lang in der Werbebranche tätig gewesen, und es ist mir fast zur zweiten
Natur geworden, überall das Ungewöhnliche zu suchen. Ich wollte ein Kind haben,
hatte seit jeher eins haben wollen, aber ich wollte es eben bloß haben.
»Du wirst es schon kriegen!« sagte Pete
mit einem freundlichen Lächeln. Und dann beendete ich mein Klagelied:
»Du und Jim — ihr sagt mir nie die
Wahrheit. Immer redet ihr davon, daß man sich einfach ins Gras legt — «
»Du liebst Übertreibungen!«
»Aber wenn ihr über eure Patienten
sprecht, ist nie von einer normalen Geburt die Rede.«
»Wenn Jim und ich über unsere Patienten
sprechen, lassen wir einander die besonderen Kenntnisse zugute kommen, die jeder
auf seinem Gebiet gesammelt hat. Wenn du erst einmal fünf oder zehn Jahre
verheiratet bist, wirst du das begriffen haben und dann nicht mehr alles auf
dich persönlich beziehen. Momentan bist du überempfindlich und läßt dich von
halbverdauten Weisheiten quälen. Statt herumzuschnüffeln und Beweise dafür zu
suchen, daß wir dich anschwindeln, solltest du lieber zu mir kommen und dich
mit mir über deine Probleme unterhalten. Das ist das Wichtigste, was ich für
dich tun kann, Mary! Die modernen Geburtshilfemethoden erleichtern nur die
normale Entbindung eines normalen Kindes — erleichtern es der Mutter und
erleichtern es dem Kind. Rein physisch gesehen, kannst du dein Kind ganz allein
bekommen. Aber ich möchte gern dabeisein, um dir psychisch zu helfen.«
Meine Gefühle für Pete steigerten sich
zu fast ehrfürchtiger Bewunderung, während ich ihm beim Essen zusah. Was für
ein Glück, daß ich sowohl Pete wie Jim an meiner Seite hatte, zwei Männer, die
mich behüteten und umsorgten und gleichzeitig mir zuliebe taten, als seien sie
kalt und abgebrüht.
»Die
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