Seuchenschiff
zurück, und Cabrillos Laune verschlechterte sich schlagartig. Von Thom Severance hatte es noch immer keine Reaktion gegeben, und jede Minute, die verstrich, brachte Juan zu der Überzeugung, dass er auch nichts mehr von ihm hören würde, weil Max längst tot war. Juan sprach es nicht laut aus und fühlte sich schuldig, so etwas auch nur zu denken, aber er konnte diese pessimistische Vermutung nicht verdrängen.
Da Ivan Kerikovs Megajacht
Matryoshka
in den inneren Hafen zurückgekehrt war, lag die
Oregon
wieder zwei Kilometer vor der Küste vor Anker. Wenn er sein Schiff eingehend betrachtete, konnte Juan manchmal erkennen, was für eine Schönheit es in seiner besten Zeit gewesen sein musste. Es war wohlproportioniert, fiel an Heck und Bug leicht ab und vermittelte mit seinem Wald von Deckkränen einen Eindruck von Zuverlässigkeit und Wohlstand. Er konnte es sich mit frischer Farbe und aufgeräumtem Oberdeck zum Beispiel vor dem malerischen Panorama der Nordwestpassage vorstellen, die es früher als Holzfrachter regelmäßig befahren hatte.
Aber während sie sich ihm näherten, war alles, was er sah, der rostige Rumpf, die abblätternde Farbe und die durchhängenden Kabel, die sich wie zerfetzte Spinnennetze zwischen den Kränen spannten. Das Schiff wirkte verloren und wie mit einem Fluch belegt. Nichts glänzte an ihm, noch nicht einmal die Schraube des Rettungsboots, das mittschiffs zwischen seinen Davits hing.
Das schlanke Taxi schob sich unter die Jakobsleiter. Dabei war das Wasser so ruhig und die Lenkerin so geschickt, dass sie sich nicht einmal die Mühe machte, Gummifender über die Reling zu hängen.
Juan tippte mit dem Fuß gegen Lincs Knöchel, und der große Mann erwachte mit einem Seufzer. »Du solltest lieber hoffen, mich wieder an den gleichen Punkt des Traums, den ich soeben hatte, zurückzubringen«, sagte er und gähnte ausgiebig. »Angelina Jolie und ich waren gerade dabei, uns näherzukommen.«
Juan reichte ihm eine Hand, um ihn hochzuziehen. »Ich bin so verdammt müde, dass ich glaube, nie mehr einen unzüchtigen Gedanken haben zu können.«
Sie ergriffen ihre Reisetaschen, bedankten sich bei der jungen Frau, die sie zum Schiff gebracht hatte, und schwangen sich auf die Jakobsleiter. Als sie die Stufen hinter sich gebracht hatten und auf dem Deck standen, kam sich Juan vor, als hätte er soeben den Mount Everest erstiegen.
Dr. Julia Huxley erwartete sie bereits zusammen mit Eddie Seng und Eric Stone. Sie strahlte Juan an und hüpfte vor Aufregung fast von einem Fuß auf den anderen. Eddie und Eric lächelten ebenfalls strahlend. Für einen kurzen Moment glaubte er, sie hätten neue Nachrichten von Max, aber die hätten sie ihm sicherlich bereits mitgeteilt, als er nach seiner Rückkehr aus Manila vom Flughafen aus angerufen hatte.
Sobald er fest und sicher auf dem Deck stand, schlang sie die Arme um seine Schultern. »Juan Rodriguez Cabrillo, du bist ein verdammtes Genie.«
»Es liegt mir fern, dir zu widersprechen, aber hilf mir auf die Sprünge, welche Heldentat mir diesmal gelungen ist.«
»Eric fand die Keilschrift-Datenbank einer englischen Universität. Er konnte die Inschriften auf den Tafeln übersetzen, die du mit deinem Telefon geschickt hast.«
Cabrillo hatte sie abgeschickt, sobald sie den Flughafen von Manila erreicht hatten.
»Der Computer konnte sie übersetzen«, korrigierte Eric bescheiden. »Ich spreche kein Wort altes Sanskrit.«
»Es ist auf jeden Fall ein Virus«, sprudelte Julia hervor. »Soweit ich mir zusammenreimen konnte, ist es eine Form von Influenza, aber völlig anders als alles, was die Wissenschaft bislang kannte. Es hat eine hämorrhagische Komponente, fast so wie Ebola oder Marburg. Und das Beste daran ist, dass ich glaube, dass Jannike Dahl von Natur aus dagegen immun ist, weil das Schiff, auf dem die Krankheit zuerst ausbrach, in der Nähe des Ortes gelandet war, wo sie aufwuchs. Also denke ich, dass sie ein Nachkomme der ursprünglichen Mannschaft ist.«
Juan konnte der Wortflut kaum folgen. »Wovon redest du? Ein Schiff? Was für ein Schiff?«
»Die Arche Noah, natürlich.«
Cabrillo blinzelte sie einige Sekunden lang an, ehe er reagierte. Er hob die Hände wie ein Boxer, der darum bittet, den Kampf abzubrechen. »Du musst schon ganz von vorn anfangen, aber vorher brauche ich eine Dusche, einen Drink und etwas zu essen, egal in welcher Reihenfolge. Gib mir zwanzig Minuten und erwarte mich dann im Konferenzsaal. Bestell Maurice, ich
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