Seuchenschiff
möchte Orangensaft, eine halbe Grapefruit, Eier Benedict, Toast und diese Estragonkartoffeln.« Es war fast Abendbrotzeit, doch sein Körper signalisierte, dass er ein Frühstück wünschte. Er wandte sich zum Gehen, schaute Julia aber noch einmal fragend an. »Die Arche Noah?«
Sie nickte wie ein kleines Mädchen, das kaum erwarten konnte, ein Geheimnis loszuwerden.
»Das muss ich hören.«
Eine halbe Stunde später hatte Juan die Mahlzeit intus. Das saure Brennen in seinem Magen war durch eine angenehme Wärme ersetzt worden, und nun hatte er das Gefühl, wieder fit genug zu sein, um sich Julias Bericht anzuhören.
Er sah zuerst Eric an, da dieser die Übersetzung angefertigt hatte. »Okay, von vorne.«
»Ich werde dich nicht mit Details darüber langweilen, wie ich die Bilder aufbereitet habe oder das Keilschriftarchiv suchte und fand, aber damit habe ich angefangen. Die Inschrift, die ihr gefunden habt, ist nach allem, was ich habe in Erfahrung bringen können, sehr alt.«
Cabrillo erinnerte sich, das Gleiche vermutet zu haben. Er gab Eric ein Zeichen fortzufahren.
»Ich habe das Problem dem Computer überlassen. Es dauerte etwa fünf Stunden, um aus den Programmen irgendetwas Sinnvolles herauszukitzeln. Die Algorithmen waren ziemlich komplex, und ich legte die Regeln der Fuzzy-Logik so weit aus wir irgend möglich. Sobald der Computer die semantischen Nuancen gerafft hatte, wurde es ein wenig einfacher, und nachdem ich alles mehrmals habe durchlaufen lassen, hier und da eine Korrektur vornahm, spuckte er schließlich die ganze Geschichte aus.«
»Die Geschichte der Arche Noah?«
»Wahrscheinlich weißt du es nicht, aber im Gilgamesch-Epos, dessen Keilschrift im neunzehnten Jahrhundert von einem englischen Amateur übersetzt wurde, wird eine Flut beschrieben, und zwar tausend Jahre, ehe sie in hebräischen Texten erwähnt wurde. In vielen Kulturen auf der Erde gehört ein Flut-Mythos zur alten Überlieferung. Anthropologen sind der Auffassung, dass auf Grund der Tatsache, dass sich menschliche Zivilisationen vorwiegend in Küstengebieten oder an Flussufern entwickelten, die Bedrohung durch Flutkatastrophen von Königen und Priestern als Mittel der Einschüchterung verwendet wurden, um den Gehorsam der einfachen Leute zu gewährleisten.« Eric schob sein stählernes Brillengestell zurecht. »Was mich betrifft, so glaube ich, dass Tsunamis sehr oft die Ursache solcher Geschichten gewesen sein werden. Da es noch keine schriftlichen Aufzeichnungen gab, wurden die Geschichten mündlich weitergegeben, gewöhnlich mit zusätzlichen Ausschmückungen, so dass nach ein oder zwei Generationen des Weitererzählens nicht nur eine riesige Welle ein Dorf ausgelöscht hatte, sondern die ganze Welt überflutet worden war. Tatsächlich –«
Cabrillo unterbrach ihn. »Spar dir die Vorlesung für später auf und bleib bei dem, was du herausgefunden hast.«
»Oh, klar, tut mir leid. Die Geschichte beginnt mit einer Überschwemmung, aber nicht durch plötzliches Anschwellen eines Gewässers oder durch heftigen Regen. Die Leute, die diese Tafeln beschriftet haben, berichten, wie das Meer, an dessen Ufer sie lebten, plötzlich anstieg. Ich glaube, es waren dreißig Zentimeter pro Tag. Während Dörfer in der Nähe einfach auf höher gelegenes Gebiet umzogen, glaubten unsere Leute, dass der Anstieg nicht aufhören werde und die einzige Möglichkeit, die Katastrophe zu überleben, darin bestand, ein großes Schiff zu bauen. Es war keinesfalls so groß wie das in der Bibel beschriebene. Damals verfügten sie noch nicht über die dafür notwendige Technologie.«
»Demnach haben wir es gar nicht mit Noah und seiner Arche zu tun?«
»Nein, obwohl die Parallelen frappierend sind und es auch durchaus möglich ist, dass die Menschen, die zurückblieben und die Ereignisse beschrieben, damit den Grundstein für
Gilgamesch
und die biblische Schilderung legten.«
»Gibt es dafür irgendeine Zeitangabe?«
»Fünftausendfünfhundert vor Christus.«
»Das erscheint aber ziemlich präzise.«
»Richtig. Es gibt nämlich physikalische Beweise für eine Flutkatastrophe, wie sie auf den Tafeln beschrieben wird. Dazu kam es, als der Erdwall, heute der Bosporus, brach und ein Binnensee, der knapp dreihundert Meter tiefer lag als das Mittelmeer, überflutet wurde. Heute nennen wir diese Region das Schwarze Meer. Mit Hilfe von Unterwasser-ROVs haben Meeresarchäologen nachweisen können, dass die alten Küsten von Menschen besiedelt wurden.
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