Seuchenschiff
Kinder zu bekommen«, betonte er.
Karin fasste dies als Vorwurf auf, sie wisse nicht, welche Auffassung jene Gruppe vertrat, die das Schiff gechartert hatte. »Ja, es geht auch darum, der Menschheit zu helfen, indem man den Millionen von Frauen der Dritten Welt eine Möglichkeit zur Familienplanung anbietet, um damit die Belastung zu verringern, die die Überbevölkerung der Erde aufbürdet. Als Dr. Lydell Cooper die Bewegung in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ins Leben rief, gab es drei Milliarden Menschen auf der Erde. Heute sind es doppelt so viele – sechs Milliarden –, und die Geburtenrate lässt nicht nach. Zehn Prozent aller Menschen, die im Laufe von hunderttausend Jahren auf der Erde gelebt haben, leben heute auf ihr.«
»Ich habe die Info-Poster, die sie überall auf dem Schiff verteilt haben, auch gesehen«, sagte Passman abwinkend. »Aber finden Sie nicht, dass Responsivismus mehr verlangt als ein soziales Bewusstsein? Wenn sich eine Frau dieser Bewegung anschließen will, muss sie bereit sein, sich ihre Eileiter verschließen zu lassen. Das klingt doch mehr nach einer Sekte.«
»Michael meinte, dass die Leute das immer wieder behaupten.« Karin glaubte, sie müsste die Überzeugungen ihres Schwarms um jeden Preis verteidigen. »Nur weil Sie nicht alle Fakten kennen, können Sie doch nicht so einfach kritisieren, woran er glaubt.«
»Das ist richtig, aber Sie begreifen doch sicherlich …« Passman beendete den Satz nicht, weil er wusste, dass er mit seinen Argumenten bei einer Zwanzigjährigen, deren Hormone verrückt spielten, kaum würde durchdringen können. »Nein, Sie würden es nicht begreifen. Ich glaube, Sie beide sollten Jannike jetzt in Ruhe lassen. Sie können ihr ja dann später erzählen, wie die Party war.« Er verließ die Krankenstation.
»Meinst du, wir können dich allein lassen,
Schnuckiputzi?«
, fragte Elsa und streichelte Jannis Schulter.
»Ich komme schon zurecht. Habt ihr euern Spaß, und ich will morgen alle Einzelheiten wissen.«
»Brave Mädchen genießen und schweigen«, sagte Karin grinsend.
»In diesem Fall erwarte ich, dass ihr überhaupt nicht brav seid.«
Die beiden Deutschen gingen hinaus, aber Karin kam eine Sekunde später noch einmal zurück. Sie beugte sich vor und senkte die Stimme. »Ich will dir nur noch verraten, dass ich glaube, ich tue es.«
Janni wusste, was sie meinte. Michael war für ihre Freundin mehr als nur eine flüchtige Schwärmerei, und wenn sie sich nicht gerade küssten, hatten sie sich stundenlang über seine Anschauungen unterhalten.
»Karin, das ist ein viel zu drastischer Schritt. So gut kennst du ihn doch noch gar nicht.«
»Ich habe eigentlich nie Kinder haben wollen, also – welchen Unterschied macht es dann, ob ich mir die Eileiter jetzt oder in ein paar Jahren verschließen lasse.«
»Lass dich nicht dazu überreden«, sagte Janni so energisch, wie ihr geschwächter Körper es zuließ. Karin war zwar nett, aber nicht gerade die stärkste Persönlichkeit, die Jannike jemals kennengelernt hatte.
»Er hat mich gar nicht dazu überredet«, erwiderte sie viel zu schnell. »Ich habe selbst schon länger darüber nachgedacht. Ich möchte mit dreißig nicht genauso mitgenommen aussehen wie meine Mutter. Sie ist jetzt fünfundvierzig und sieht aus wie siebzig. Nein, danke. Außerdem«, fügte sie mit einem fröhlichen Lächeln hinzu, »wird sowieso nichts geschehen, ehe wir in Griechenland anlegen.«
Janni ergriff Karins Hand, um ihrem Argument mehr Nachdruck zu verleihen. »Das ist eine Entscheidung, die den ganzen Rest deines Lebens betrifft. Denk noch einmal gründlich darüber nach, okay?«
»Okay«, sagte Karin gehorsam, als hätte sie ihre Eltern vor sich.
Janni umarmte sie kurz. »Gut. Und jetzt habt viel Spaß, und feiert ein wenig für mich mit.«
»Darauf kannst du dich verlassen.«
Das Parfüm der Mädchen hing, nachdem sie gegangen waren, noch lange in der Luft.
Ein ernster Ausdruck lag auf Jannis Gesicht. Das Schiff sollte erst in einer Woche in Piräus einlaufen, und sie hoffte, dass sie und Elsa Karin ihren Entschluss würden ausreden können. Eine der Voraussetzungen, um den Responsivisten beitreten zu können, bestand nämlich darin, dass man sich sterilisieren ließ. Für Männer bedeutete es eine Vasektomie und für Frauen einen Eileiterverschluss. Es gehörte zu ihren Glaubenssätzen, keine weiteren Kinder in eine überbevölkerte Welt zu setzen, ein dramatischer erster Schritt, der
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