Sex and Crime auf Königsthronen
königlichem Absolutismus soll Freiheit regieren, soll Gleichheit anstelle einer Ständeordnung herrschen, sollen wissenschaftliche Erkenntnisse alte Vorurteile und religiöse Irrtümer ersetzen. Der Mensch ist »von Natur aus gut« und man »muss es ihm nur zeigen«, lautet das pädagogische Programm, dem auch Könige unterzogen werden sollen. Man hält sie für lernfähig wie jedermann.
Einige sind es, andere interpretieren Aufforderungen wie Rousseaus »Zurück zur Natur«, also dem Urzustand der Gleichheit, recht eigenwillig.
Marie Antoinette – Eine Königin spielt Milchmädchen, doch die Rechnung geht nicht auf
Frankreichs letzter Bourbonen-König Ludwig XVI. (1754–1793) schenkt seiner berühmt-berüchtigten Königin Marie Antoinette, zehn Jahre bevor er den Kopf unter der Guillotine verliert, das Landschlösschen Rambouillet. Weil die Gattin die Immobilie als »gothisches Krötenloch« bezeichnet, lässt Ludwig der Letzte es à la Rousseau umgestalten.
Im Park entsteht unter enormem Kostenaufwand eine ländliche Idylle samt Bauernhöfen, Bächen, Backhäusern, Kuhstall und Meierei, damit die Rokokoprinzessin aus dem Hause Habsburg im Schäferkostüm gelegentlich Lämmer hüten kann. Die Schafherde wird täglich frisch parfümiert. Neben reinem Verstand ist halt auch bürgerliche Empfindsamkeit und Rückzug ins Private le Dernier Cri. Beim Adel allerdings nach alter Sitte mit viel Showeffekten. Das Idyll wird mit exorbitant teuren Luxusobjekten möbliert.
Wie Jean-Jacques Rousseau, der sich freut, dass er so beliebt ist bei Königs, ist Marie Antoinette auch dafür, das Stillen wieder in Mode zu bringen, statt Ammen zu beschäftigen. Um die Botschaft werbewirksam rüberzubringen, lässt sie in der Porzellanmanufaktur Sèvres brustförmige Milchschalen anfertigen, die auf Ziegenfüßen ruhen. Ein sündteures Geschirr. Unbewiesen ist, dass ihre eigene wohlentwickelte Büste Modell für das Service stand. Zwei der königlichen Milchbecher sind im Pariser Keramikmuseum zu besichtigen.
Eindeutig verspätet sind die bürgerlichen Einsparmaßnahmen ihres Gatten in Sachen Haushaltskosten. Ludwig XVI. sagt wegen wachsenden Unmuts in der Bevölkerung Opernvorstellungen in Versailles ab, für die allabendlich allein 3000 Bienenwachskerzen entzündet werden müssen. Die Kosten für eine Kerze – so haben einige Historiker berechnet – entsprechen dem wöchentlichen Einkommen einer Bauernfamilie. Allerdings geht diese Angabe auf ein historisches Standardwerk der ehemaligen DDR zurück. Die vielleicht etwas anders gerechnet hat als andere Forschernationen. Kurz: Genaues weiß man nicht, und das Nachrechnen historischer Kosten und Zahlenangaben ist eine Wissenschaft für sich! So soll der Bau von Versailles – je nach Historiker – mal 20 Millionen, mal Milliarden, mal irgendetwas dazwischen gekostet haben. Eins ist sicher: Es war ein teurer Bau, von dem das Volk erst mal nichts hatte. Dafür floss das Können bürgerlicher Handwerker, Architekten und Arbeiter in den Prachtbau ein. Genießen wir ihn also als Zeugnis menschlicher Begabung. Auch der zum Größenwahn.
Nun, obwohl der letzte Ludwig die Kerzen löschte – dass seinem Volk ein Licht aufging, das konnte er dadurch nicht verhindern. Ein alleiniges Verdienst der großen Köpfe der Aufklärung ist das Erwachen der einfachen Untertanen jedoch auch nicht.
Die zornigsten – und heute eher vergessenen – Stimmen kamen häufig von den niederen Rängen. Kaum ein aufgeklärter europäischer Zeitgenosse würde heute noch das Urteil eines Jean Meslier unterschreiben: »Ich möchte, dass der letzte der Könige erwürgt werde mit den Gedärmen des letzten Priesters.« Indes, der Monarchenfeind hatte Gründe und kannte das Elend haargenau.
Meslier, ein armer katholischer Dorfpfarrer, stirbt 1729, sechzig Jahre vor der Revolution. Er ist Kind eines Jahrhunderts, das die Verbrennung von Zehntausenden Hexen und Hexern erlebt; auch Ketzer sterben noch den Flammentod. Boshafter Klatsch und Hysterie genügen oft, und schon brennt ein Scheiterhaufen, auf dem auch viele seiner Schäfchen qualvoll sterben. Mit dem Segen der Kirche – daher Mesliers hasserfüllte Kritik am Klerus.
Adlige Grundherren lernt der zornige Diener Gottes aus nächster Nähe als verantwortungslose Ausbeuter kennen. Nicht nur in Mesliers Heimatregion, der Champagne, sind 80 Prozent aller Bewohner Bauern, die Mehrzahl von ihnen Analphabeten. Sie leben an und unter der Armutsgrenze und sind doch
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