Sex and Crime auf Königsthronen
verpflichtet, den von Steuern weitgehend befreiten Hochadel und hohen Klerus mitzufinanzieren. Nur eine hauchdünne Schicht lebt damals wie Gott in Frankreich.
»Behaltet die Reichtümer und Güter, die ihr im Schweiße Eures Angesichts erarbeitet, für Euch«, zürnt Händlersohn Meslier schriftlich. »Gebt nichts davon an diese prächtigen und unnützen Faulenzer, nichts an all diese Mönche und Kleriker, die unnütz auf der Erde wohnen, nichts an diese hochmütigen Tyrannen, die Euch verachten …« Meslier klagt die Verhältnisse an, die er kennt. Die Zeilen entstammen einem heimlich und über Jahre hinweg verfassten sogenannten »Testament«.
In frühen Jahren ist Meslier wegen seiner Predigten gegen adlige Grundherren scharf gemaßregelt und mit Kerkerhaft bedroht worden. Er hat gelernt zu schweigen, und maßlose Wut aufgestaut. Erst kurz vor seinem Tod vervielfältigt der zum Atheisten gewordene Meslier das Manuskript handschriftlich. Er verteilt es in mehreren Pfarrämtern. Die Zeitbombe zündet.
Das Manifest wird zum ersten und bedeutendsten Dokument der Frühaufklärung. Es beginnt unter Frankreichs Denkerelite zu kursieren. Voltaire (1694–1778) bearbeitet es mäßigend und veröffentlicht es später anonym in Auszügen. Darum wird der Satz übers »Priestergedärm« noch heute fälschlicherweise ihm zugeschrieben. Indes – so radikal und unversöhnlich war der später geadelte Allroundautor nicht. Auch Voltaire wollte leben, und zwar kommoder als ein kleiner Dorfpfarrer, dem man das Maul fix verbieten oder den man gar verbrennen kann.
Katharina die Große – Mörderische Komödiantin auf dem Kaiserthron
Natürlich gibt es auch Monarchen, die die bürgerlichen Vertreter der neuen Vernunft und der neuen Empfindungswelt sehr ernst nehmen. Etwa die kluge Katharina die Große (1729–1796). Russlands Zarin schreibt gern satirische Komödien im Stile Molières über unterbelichtete und verlotterte Höflinge wie »Frau Klatschmaul und ihre Familie«. Sie schickt sie zur Begutachtung an Monsieur Voltaire, einen der anerkannt brillantesten Denker, Dichter und Philosophen der Zeit. Er nennt die deutschstämmige Prinzessin aus dem Hause Anhalt-Zerbst »Stern des Nordens«. Später lobt er einige ihrer Gesetzesreformen als ein »Evangelium für die Menschheit«, und sie tituliert er als »Philosophin auf dem Thron«. Eine seltene Ehre, denn Voltaires Blick auf das weibliche Geschlecht ist eher geringschätzig: »Die Frau ist ein menschliches Wesen, das sich anzieht, schwatzt und sich auszieht.«
Katharina, eine begabte Machtpolitikerin, hat allemal mehr zu tun. Um Russland zu beherrschen, inszeniert sie statt einem Schwank 1761 eine Palastrevolution. Gemeinsam mit ihrem Geliebten Grigori Orlov putscht sie ihren ungeliebten und unbeliebten Gemahl Zar Peter III. (1728–1762) vom Thron, den er gerade mal sechs Monate innehat.
Gründe dafür findet Katharina reichlich. In den Palastfluren heißt es, Peter wolle sie zugunsten seiner Mätresse in ein Kloster verbannen. Was stimmen könnte. Denn Katharina selbst ist nicht ganz unschuldig an Behauptungen über ihren Zarewitsch, die noch heute Anklang finden: Peter soll ein Ausbund an Irrsinn gewesen sein, der Diener mit vollen Tellern bewirft, sich im Bett lieber mit Tonsoldaten beschäftigt als mit ihr und der gern Ratten zum Tod verurteilt und hinrichtet. Die deutsch-russische Journalistin Elena Palmer hat 2005 in »Peter III. – Der Prinz von Holstein« einen genauen Blick auf den geschmähten Zaren und auf die Quellen geworfen. Ihr Fazit: Man hat Peter aus rein politischen Interessen zum Deppen abgestempelt.
Sicher ist, dass Russlands Adel es dem gebürtigen Prinzen von Holstein übel nimmt, dass er mit ihrem Erzfeind Preußen Frieden geschlossen hat, statt Ostpreußen besetzt zu halten. Als echter Borussenfan trägt der Zar aus Kiel auch deren Uniform und umgibt sich lieber mit holsteinischen Jugendfreunden als mit ihnen. Zudem erlässt er Reformen, die ihnen missfallen, wie die Abschaffung der Folter oder die Einführung einer Luxussteuer statt der allgemeinen Salzsteuer, die die Armen teuer zu stehen kommt. Voltaire und seine Freunde wären begeistert, wissen davon aber nichts.
Mit ihnen korrespondiert Katharina lieber über das Licht der Vernunft als über ihre dunklen Machenschaften an der Seite des russischen Adels, die anno 1762 von Erfolg gekrönt sind.
Peter III. muss abdanken. Er bittet um die Gunst, mit seinem Mops, seiner Geige und seiner
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